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Ein Jahr "Wir schaffen das" Wie Europa Merkel im Stich ließ

Ein Satz feiert Jahrestag: Es ist der Satz "Wir schaffen das" von Angela Merkel. Die Kanzlerin steht weiter dazu, räumt aber auch Fehler ein. Deutschland habe zu spät auf die weltweite Flüchtlingskrise reagiert. Wie war das vor einem Jahr in der EU?

Von: Kai Küstner

Stand: 31.08.2016

Bundeskanzlerin Merkel auf dem EU-Gipfel - sie sieht den ungarischen Ministerpräsident Viktor Orban grimmig an | Bild: picture-alliance/dpa

Es war ein denkwürdiger Auftritt in Brüssel – und er hätte bei der deutschen Kanzlerin böse Vorahnungen wecken können: Kurz nachdem Angela Merkel den Satz "Wir schaffen das" zum ersten Mal sagte und noch während in seinem Land tausende Flüchtlinge festhingen – also Anfang September 2015 – äußerte sich der ungarische Regierungschef Viktor Orban so:

"Das Problem ist kein europäisches Problem – das Problem ist ein deutsches Problem."

Viktor Orban, Regierungschef Ungarn

Der deutsche EU-Parlamentschef Martin Schulz, der bei der Pressekonferenz neben Orban stand, mag zunächst geglaubt haben, sich verhört zu haben. Sah sich dann aber gezwungen, seinem Gast offen zu widersprechen:

"Ich bin nicht der Meinung von Viktor Orban."

Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident

Doch an der ungarischen Haltung und überhaupt der meisten Osteuropäer sollte sich auch in den nächsten Monaten nichts ändern: sie sperrten sich gegen eine faire Verteilung der Schutzsuchenden auf die Einzelstaaten der EU – und tun das auch heute noch. Wobei man fairerweise sagen muss: Orban und Co waren nur diejenigen, die Merkel am lautesten widersprachen. Auch die großen EU-Staaten wie Frankreich und Großbritannien waren nicht bereit, den Kanzlerin-Kurs mitzugehen. Da half es auch nichts, dass Merkel Europa immer wieder zurief:

"Wir müssen uns die Last und die Aufgabe fair untereinander teilen – das ist Europa immer gewesen und das ist das Erfolgsrezept!"

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Hätte es die EU tatsächlich geschafft, die rund 1 Million Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland kamen, auf die Einzelstaaten – also insgesamt 500 Millionen Europäer -  zu verteilen, die Flüchtlings-Debatte würde heute vermutlich anders geführt. So aber lässt sich nur mit bitterer Ironie feststellen: Ausgerechnet in dem Moment, in dem die sonst oft zaudernde Kanzlerin sich entschließt, aus vollstem Herzen europäisch zu denken und zu handeln – einige sagen: erstmals überhaupt – ist Europa nicht da, ihr zu helfen. Die vermeintlich mächtigste Frau der Welt ist, was Verbündete in der Flüchtlingskrise angeht, seitdem eine sehr einsame:

"Es ist schrecklich: Es gibt niemanden, auf den sie sich verlassen kann. Von Polen und Ungarn ganz zu schweigen, kann sie sich weder auf Frankreich noch auf Großbritannien noch auf die Niederlande stützen. Und Spanien und Portugal haben ihre eigenen Sorgen."

Judy Dempsey von der Ideenfabrik Carnegie Europe

Stellte Dempsey auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im ARD-Hörfunk-Interview fest. Nicht wenige sehen darin, dass die Europäer – mal abgesehen von der EU-Kommission - Deutschland in dieser Frage vereinsamen ließen, auch eine stille Rache: denn die Bundesregierung wehrte sich jahrelang mit Händen und Füßen gegen jede Umverteilungs-Quote. Erst als es ihr nützte, fiel sie ihr wieder ein. Merkel hat das im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" jetzt auch so zugegeben. Möglicherweise verbirgt sich dahinter der Versuch, wieder auf die EU zuzugehen. Dass sich damit die Flüchtlings-Quote doch noch retten ließe, darauf gibt es jedoch derzeit nicht den geringsten Hinweis.

 Flüchtlinge halten sich in München (Bayern) in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber auf dem Gelände der Bayernkaserne im Freien hinter einem Schild auf | Bild: picture-alliance/dpa zur Übersicht Dossier An den Grenzen Fluchtpunkt Bayern

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Das einzige, worauf sich Europa in Sachen Flüchtlinge derzeit einigen zu können scheint, ist, dass die Außengrenzen sicherer werden müssen: Es wird also künftig darum gehen, den Türkei-Deal zu retten, vielleicht auch neue Deals mit afrikanischen Staaten zu schließen, im Krisen-Land Libyen eine Küstenwache auszubilden. Wohl auch ein Schengen-Register zu schaffen, dem - nach US-Vorbild - eines Tages zu entnehmen sein wird, wer wann aus welchem Grund in die EU ein- und ausreist. Ob bei Verwirklichung all der Pläne dann wirklich von einer "europäischen Lösung" gesprochen werden kann, bezweifeln Kritiker allerdings.


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Stan, Donnerstag, 01.September 2016, 10:33 Uhr

49. Kompliment an den BR

Ich bin zwar anderer Meinung als der Autor des Artikels, Kai Küstner.
Daß der BR aber eine sehr kontroverse Diskussion zugelassen hat, finde ich anerkennenswert.
Im Herbst 2015 hat der BR zuerst zensiert, und dann die Kommentarfunktion blockiert.
Im Kessel herrscht hoher Druck. Langjährige Freundschaften zerbrechen wegen des gesellschaftlichen Umbruchs durch die Flüchtlinge.
Die Lage in der Bevölkerung ist angespannter als es Printmedien und der Äther wiedergeben.
Das durch Kommentarsperren unter den Teppich zu kehren ist sinnlos. Besser das Ventil aufmachen und diskutieren.
Last not least ist es ein Zeitdokument über die Stimmung anno 2016. Vielleicht auch für spätere Historiker. Wir wissen nicht, was uns erwartet.
Um 1618-1648 oder 1914-1918 besser verstehen zu können, war due Entwicklung in der Vorkriegszeit maßgeblich.







Wanda, Donnerstag, 01.September 2016, 00:49 Uhr

48. Verdrehte Tatsachen...

In welchem Kino waren Sie denn, Herr Küstner ? Es war doch wohl Merkel, die in arroganter Manier die anderen EU-Staaten übergangen und vor vollendete Tatsachen gestellt hat, oder ?

Kharl Deutscher, Mittwoch, 31.August 2016, 23:55 Uhr

47. Wie Europa Merkel im Stich ließ

Von: Kai Küstner

Welch eine Anmaßung . Europa und die ganze Welt haben die FIRST KUH im KANZLERSTALL in Stich gelassen . Es gibt nur ein einziges Missiv : Frau Kasner muss weg .

Josef, Mittwoch, 31.August 2016, 23:20 Uhr

46. Merkel und die Linken ziehen am gleichem Strang.

In Brüssel haben die Linken weitaus mehr das Sagen als in ihren Länderparlamenten und sie haben längst dafür gesorgt, dass ihre Entscheidungen nach dem Muster des Obersten Sowjets an den Ländern vorbei und ohne Befragung sowie ohne vorherige Zustimmung der Bevölkerung des 500-Millionen-Kontinents Europa durchgepeitscht werden.
Die schwerwiegenden Folgen für Europa werden dabei juristisch derart verklausuliert, dass nur noch wenige Journalisten die Folgen von Verträgen wie dem „Lissabon-Vertrag“ zu erkennen vermögen. Wenn sie es überhaupt erkennen wollen.

In unwesentlichen Projekten wie Stuttgart 21 gehen ihre Lakaien monatelang auf die Straße und fordern Volksabstimmungen und eine „frühzeitige Einbindung“ der Bevölkerung in solche „Groß-Projekte“.

Wenn es jedoch um Projekte historischer Dimensionen wie der Einwanderung von 56 Millionen Afrikaner in die EU geht, ist von alledem nichts mehr zu hören.

Josef, Mittwoch, 31.August 2016, 23:14 Uhr

45. Europa im demografischem Umbruch, Dank Merkel

„Europa von keiner externen Macht besetzt – und dennoch befindet sich dieser Kontinent im größten demografischen Umbruch seiner Geschichte, bei der neue, vor allem muslimische Ethnien die indigenen Europäer sukzessive ersetzen.
Dieser Umbruch wurde und wird von Europas eigenen Politikern gesteuert und richtet sich längst gegen die Interessen und Bedürfnisse der einheimischen Europäer. Weder haben jene Politiker ihre Völker in dieser Frage um Erlaubnis gefragt, noch reagieren sie auf das zunehmende Unbehagen der meisten Menschen Europas, die eine solche Massenimmigration angesichts der Tatsache, dass sie ihr altes Europa immer weniger wiedererkennen und vielerorts bereits zu Fremden im eigenen Land geworden sind, längst nicht mehr wollen.
Diese Immigrationspolitik trägt alle Anzeichen einer totalitären Herrschaftsauffassung der politischen Elite Europas und erinnert an die riesigen Völkerverschiebungen in der Sowjetunion und im kommunistischen China unter Stalin und Mao.

  • Antwort von N. Schöttl, Donnerstag, 01.September, 09:08 Uhr

    Wo gingen Sie denn zur Schule?

    Artikel 3 GG

    (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
    (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
    (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

    So jetzt sagen Sie mir mal, wo soll es da einen "Umbruch" geben? Sind Muslime etwa besser gestellt?

    Zweitens: Wo um alles in der Welt soll Deutschland einer "totalitären Herrschaftsauffassung" unterliegen?

    Deutschland ist ein demokratisches Land in dem ein jeder Bürger sich an Wahlen beteiligen kann!

  • Antwort von Bente, Donnerstag, 01.September, 09:21 Uhr

    Leider ist es genauso wie Sie ausführen.

    Deshalb gibt es nur eine Möglichkeit: die Bürger müssen bei den nächsten Wahlen sehr deutlich kund tun, dass sie damit nicht einverstanden sind.

  • Antwort von Ed Zetera, Donnerstag, 01.September, 11:31 Uhr

    N. Schöttl
    ... wobei der Stimmzettel nach der Wahl als Blanko-Vollmacht benutzt wird!