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Fluchtursachen bekämpfen Wird die Entwicklungshilfe überfordert?

Die Fluchtursachen bekämpfen - das fordern Bundes- wie auch bayerische Politiker quer durch die Parteien und es klingt sehr plausibel: Wenn die Menschen in ihren Heimatländern eine Perspektive haben, brauchen sie nicht zu fliehen. Entwicklungshilfe, die in der öffentlichen Debatte lange ein Schattendasein geführt hat, rückt dabei wieder in den Fokus. Doch ihre Möglichkeiten werden sehr unterschiedlich beurteilt.

Von: Patrizia Kramliczek

Stand: 20.02.2016 | Archiv

Eine junge Frau, die aus Syrien geflüchtet ist, zapft am 19.03.2015 im Flüchtlingslager der UNHCR in der Bekaa-Ebene im Libanon Wasser. | Bild: picture-alliance/dpa

Kann Entwicklungshilfe wirklich helfen, Fluchtursachen zu bekämpfen? Eine ganz klare Meinung dazu vertritt Karin Riedl, Lehrbeauftragte am Institut für Ethnologie, Ludwig-Maximilians-Universität in München: "Nein - jedenfalls nicht die Sorte 'Entwicklungshilfe', die bisher geleistet wurde. Fluchtursachen sind vor allem in der global ungerechten Verteilung von Ressourcen zu suchen sowie in Kriegen, die aufgrund dieser ökonomischer Spannungen, aber auch westlicher Einflussnahme  - wie etwa in Afghanistan und im Irak - ausbrechen."

Vorteil für westliche Unternehmen

Entwicklungshilfe bedeutet laut Riedl in den meisten Fällen, dass Geld gezahlt werde unter der Bedingung, dass sich die Unterstützen für den "neoliberalen Weltmarkt" öffneten. So sollen einerseits Investitionsmöglichkeiten und andererseits Ressourcenzugang für westliche Unternehmen geschaffen werden. Die Wissenschaftlerin sieht den wirtschaftlichen Kreislauf äußerst kritisch:

"Die Probleme, die die 'Entwicklungshilfe' zu bekämpfen vorgibt, sind also eigentlich durch sie mitverursacht."

Karin Riedl, Lehrbeauftragte am Institut für Ethnologie, Ludwig-Maximilians-Universität in München

Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge könnten häufig ihren Lebensunterhalt in den Heimatländern genau deshalb nicht mehr bestreiten, "weil die lokale Produktion nicht mit den billigen Gütern mithalten kann, mit denen der Weltmarkt ihre Märkte überschwemmt", argumentiert Riedl. Als Beispiel nennt sie den subventionierten Export von EU-Agrargütern nach Afrika. Auch mit Konzessionen für Schlüsselbranchen wie Öl in Nigeria oder Minen in Peru an Konzerne aus den reichen Industrienationen würden Umwelt- und Sozialstandards systematisch ausgehebelt.

Riedl zitiert den früheren Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel (FDP). In einem "Handelsblatt"-Interview hatte er 2010 gesagt: "Jeder bilateral umgesetzte Euro fließt nach Expertenschätzungen mit 1,80 Euro zurück in die deutsche Exportwirtschaft. Es ist also auch ein großes Eigeninteresse, das in der Entwicklungszusammenarbeit mitspielt."

Langfristig und nicht in verschärfter Krisenlage

Selbst wenn man den von Riedl negativ gezeichneten wirtschaftlichen Kreislauf ausblendet, wird deutlich, wann Entwicklungshilfe überhaupt wirken könnte: Vor dem Ausbruch von Kriegen, also in dem Stadium, in dem die angeführten ökonomischen Spannungen noch zu lösen sind.

In Syrien, wo viele Menschen seit Jahren fliehen, kann Entwicklungshilfe derzeit gar nicht ansetzen. Als der Bürgerkrieg ausgebrochen ist, hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Kooperationen ausgesetzt. Alle deutschen Experten verließen im April 2011 das Land, in dem Regierungstreue und Opposition sich bis aufs Blut bekämpfen. Vor dem Krieg hat es in Syrien zum Beispiel ein Bildungsprogramm des BMZ gegeben, von dem Riedl sagt, dass es „sicher zu den sinnvolleren Maßnahmen gehört".

Im Kriegsgebiet: Humanitäre Hilfe

 Flüchtlinge halten sich in München (Bayern) in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber auf dem Gelände der Bayernkaserne im Freien hinter einem Schild auf | Bild: picture-alliance/dpa zur Übersicht Dossier An den Grenzen Fluchtpunkt Bayern

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Worum sich jüngst auch die Syrien-Kontaktgruppe bei ihrer Tagung am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz bemüht hat, sind Korridore für humanitäre Hilfe. Für diese Hilfe in akuter Not ist das Auswärtige Amt zuständig. Entwicklungsarbeit schließt sich erst an solche Ersthilfe an. Deutschland unterstützt derzeit zum Beispiel Sri Lanka, wo vor sechs Jahren der Bürgerkrieg zu Ende gegangen ist. Hier wird unter anderem der Bau eines Berufsbildungszentrums gefördert und Know-how darüber vermittelt, wie einheimische Produkte exportfähig gemacht werden. In Westafrika hilft Deutschland beim Wiederaufbau nach der Ebola-Epidemie, insbesondere im Bereich Gesundheitssysteme, Grundbildung und Wirtschaftsentwicklung.

Aktiv im Umfeld des Krisenherdes

Wie Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vor kurzem im Bayern 2-radioWelt-Interview sagte, setzt er bei der Bekämpfung der Fluchtursachen auf die Menschen in der Region.

"Es herrscht ja nicht überall Krieg. Sondern es gibt auch bereits befriedete Zonen und dort können und müssen die Menschen ihre Dörfer selber wieder aufbauen."

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) in der Bayern 2-radioWelt

Im Nord-Irak soll das Programm "Cash-For-Work" starten. Und Ende Januar hatte die Bundesregierung die Entwicklungshilfe für die Türkei, das inzwischen rund zweieinhalb Millionen syrischer Flüchtlinge aufgenommen hat, in diesem Jahr von 36 Millionen Euro auf 86 Millionen aufgestockt. Mit den zusätzlichen Mitteln soll in Schulen, berufliche Ausbildungen und die kommunale Infrastruktur investiert werden. "Wir müssen den Menschen dort Perspektiven geben, und dazu leisten wir unseren Beitrag", sagte Gerd Müller.

Die Flucht aus dem Zufluchtsort

Diese Art von Entwicklungshilfe setzt bei der Flucht aus dem Zufluchtsort an. Bei den Ursachen, die Asylsuchende zum Beispiel aus einem Aufnahmelager in der Türkei vertreiben und näher Richtung Deutschland bringen.

"Entwicklungshilfe kommt bei der Bewältigung langjähriger Flüchtlingssituationen eine wichtige Rolle zu. Das Gleiche gilt, wenn Flüchtlinge in einer Post-Konfliktsituation in ihre Heimat zurückkehren und der eigene Neuanfang mit dem Wiederaufbau des Heimatlandes verknüpft werden muss."

Stefan Telöken, UNHCR Berlin 

Bayerische Entwicklungshilfe

Auch Bayern leistet Entwicklungshilfe. Grundsätzlich ist das zwar Bundesaufgabe, doch auch der Freistaat betreibt internationale Projekte - zum Beispiel in Tunesien.

"Seit Beginn des arabischen Frühlings begleite ich den Transformationsprozess in Tunesien intensiv. Wir wollen, dass Tunesien seinen Weg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiter erfolgreich fortsetzt."

Europaministerin Beate Merk, November 2015 bei einem Treffen der deutschen Entwicklungsminister

Der Aktionsplan für Tunesien sehe Projekte in den Bereichen berufliche Bildung, innere Sicherheit und Justiz vor, sowie eine Stärkung der kommunalen und regionalen Entwicklung. "Auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist für mich hier ein wichtiges Anliegen“, betonte Merk. Und es geht auch um Wirtschaft.

Dachverband bayersicher Initiativen

"Eine Welt Netzwerk Bayern e. V." ist der Dachverband entwicklungspolitischer Gruppen und Einrichtungen, Weltläden und lokaler Netzwerke. Dazu zählen Vereine, Initiativen und Kirchengemeinden. Die Ziele: globale Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden, Bewahrung der Natur.

Alexander Fonari, Vorstand vom "Eine Welt Netzwerk Bayern“, der Beate Mark schon auch mal unsere "Eine-Welt-Ministerin" nennt, sieht wirtschaftliche Kooperation bei Entwicklungshilfe nicht so kritisch und weniger schwarz-weiß als die Ethnologin Karin Riedl. Fonari: "Bayern hat einen besonderen Bezug zu Tunesien, ist zum Bespiel bereits bei dualer Bildung aktiv geworden. Es gibt bayerische Automobilzulieferer, die zu den größten Arbeitgebern in Tunesien zählen."

Der möglichen Kritik, dass hier unter Umständen Hilfe geleistet wird, die letztlich der eigenen Wirtschaft dient, entgegnet Fonari:

"Diesen Spagat haben wir immer. Aber hier überwiegt das Ziel, die Menschen menschenwürdig dort überleben zu lassen."

Alexander Fonari, Vorstand von Eine Welt Netzwerk Bayern e. V.

Das heißt: Keine Ausbeutung, wie sie in den vergangenen Jahren zum Beispiel von asiatischen Textilfabriken bekannt geworden ist. Soziale und gesundheitliche Aspekte, sowie Umweltaspekte und nachhaltiges Handeln sollen dabei beachtet werden.

"Die Interessenlagen sind bunt. Wir sehen auch, was uns hilft."

Alexander Fonari, Vorstand Eine Welt Netzwerk Bayern

Genug zum Essen zu haben ist noch keine Perspektive

Sich nur ernähren zu können, reiche nicht aus, sagt Fonari, man müsse den Menschen grundsätzlich eine Perspektive aufzeigen. Auf die Frage, was zum Beispiel fairer Handel mit Fluchtursachen zu tun hat, antwortet Fonari: "Produzenten, die in ihrem Land für einen fairen Preis ihre Waren verkaufen können, haben eine Perspektive." "Eine Welt" bemühe sich langfristig einen Beitrag zu leisten, dass die Menschen von ihrer Arbeit menschenwürdig leben und in dem Land bleiben können, in dem sie aufgewachsen sind. Das ist ein Ja zur Entwicklungshilfe und Fonari betont, dass der Bayerische Landtag am vergangenen Mittwoch einstimmig entwicklungspolitische Leitsätze verabschiedet habe.

"Wir sehen eher die Schande 2015 darin, dass die internationale Staatengemeinschaft zugesagte Mittel zur Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht geleistet hat", so der Eine-Welt-Vorstand. Mehrere EU-Staaten hatten bei einem Flüchtlingsgipfel im September zugesagt, schnell Milliarden bereit zu stellen. Deutschland habe das zwar getan, aber viele andere seien der Verpflichtung nicht nachgekommen.


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