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Hooligan-Gewalt bei EM "Frankreich hat nichts gelernt"

Haftstrafen für drei Russen wegen ihrer Beteiligung an Ausschreitungen. Mit Deutschland-Polen stand das nächste Risikospiel an. Fanforscher Gunter A. Pilz übt scharfe Kritik am Gastgeberland und an der UEFA

Von: Florian Haas und Ernst Eisenbichler

Stand: 16.06.2016

Ausschreitungen russischer Fans in Marseille | Bild: picture-alliance/dpa

Wegen ihrer Beteiligung an den Ausschreitungen bei der Fußball-EM in Frankreich sind drei Russen zu Haftstrafen verurteilt worden.

Ein französisches Gericht verhängte heute gegen einen der Fans zwei Jahre Gefängnis, gegen einen weiteren 18 Monate und gegen den dritten zwölf Monate. Zuvor hatte der Präfekt der Region Marseille, Stéphane Bouillon, erklärt, dass 20 Russen, die an den Ausschreitungen beteiligt waren, am kommenden Montag abgeschoben werden sollen. Insgesamt seien 43 russische Fans am Dienstag nahe der Stadt Mandelieu in einem Bus gestoppt und festgenommen worden. Die Russen hatten sich am vergangenen Samstag Straßenschlachten mit englischen Fans geliefert. Zwei der Briten wurden ebenfalls schon zu Haftstrafen verurteilt, allerdings nur zu zwei beziehungsweise drei Monaten.

Fanexperte Pilz wundert sich

Erschreckende Szenen spielten sich in Marseille vor und nach dem EM-Vorrundenspiel England-Russland ab. Die Überraschung, mit der von offizieller Seite darauf reagiert wurde, ist laut Gunter A. Pilz wenig nachvollziehbar. Sowohl der UEFA als auch den Polizeibehörden europäischer Länder sei seit langem bekannt, dass es bei der EM zu massiven Hooligan-Aufmärschen kommen könne - gerade im Umfeld der Partie England-Russland, aber auch bei dem heute Abend bevorstehenden Spiel Deutschland-Polen (Anpfiff 21.00 Uhr in Paris).

Über 300 Festnahmen

Nach Angaben des französischen Innenministeriums wurden bislang elf Hooligans zu Haftstrafen verurteilt und bei dreien wurde eine Bewährungsstrafe verhängt. Seit Beginn der Europameisterschaft hat die französische Polizei 323 Menschen vorläufig festgenommen.

Die Hooligans - vor allem aus dem rechtsextremen Bereich - hätten seit Monaten mobil gemacht. Vor diesem Hintergrund hätten die Ordnungskräfte inner- und außerhalb des Stadions "erbärmlich versagt", so der Sportsoziologe, der sich seit Jahrzehnten mit der Hooligan- und Ultra-Szene befasst.

Pilz: Frankreich schlug Hilfsangebot aus

Dabei hätten derartige Ausschreitungen vielleicht verhindert werden können, so Pilz, der im Rahmen der Daniel-Nivel-Stiftung ein Deeskalationskonzept erarbeitete: gegenseitige Feindbilder abbauen durch Kommunikation zwischen Fans und Polizei. Bei den Europameisterschaften 2008 in Österreich und der Schweiz und 2012 in Polen und der Ukraine sei es mit jeweils etwa 50 deutschen, szenekundigen Polizeibeamten erfolgreich umgesetzt worden. Seit drei Jahren versuche man, mit diesem Konzept auch die aktuelle EM zu unterstützen, doch der Gastgeber habe das Angebot abgelehnt. "Frankreich scheint nach wie vor relativ beratungsresistent zu sein", so Pilz.

Krawalle in Marseille

Der Fanforscher verweist dabei auf die Ausschreitungen bei der WM in Frankreich 1998, bei der unter anderem der französische Gendarm Daniel Nivel von deutschen Hooligans so schwer verletzt wurde, dass er schwerbehindert blieb. Schon damals habe Frankreich Ratschläge ausgeschlagen, zum Beispiel ein Verbot von Alkoholausschank bei Risikospielen. Andere Länder hätten dagegen das Hooligan-Problem inzwischen weitgehend im Griff.

"In Frankreich wiederholt sich Geschichte in erschreckender Weise (...) Sie haben nichts gelernt."

Gunter A. Pilz

Scharfe Kritik auch an UEFA

Der Fanforscher sieht aber auch große Defizite beim Europäischen Fußballverband:

"'Da muss sich auch die UEFA fragen lassen: Wenn man so ein Spiel als Hochrisikospiel einstuft und damit die strengsten Sicherheitsvorschriften auch in den Stadien gelten, wie es dann sein kann, dass russische Hooligans englische Fans durch die Blöcke jagen."

Gunter A. Pilz

Pilz: Russen eventuell WM entziehen

Gleichzeitig kristisiert Pilz aber auch scharf die russische Seite. So hatte Igor Lebedew, Parlaments-Vizepräsident und hoher Funktionär im Fußballverband, die russischen Hooligans öffentlich gelobt. Der Fanforscher betrachtet das als Aufruf zu weiterer Gewalt. Der russische Verband solle daher sofort von der EM ausgeschlossen werden. Sollte Lebedew Funktionär bleiben, solle Russland auch die WM 2018 entzogen werden.

"Rechtspopulismus Nährboden für Hooligans"

Auffällig ist, dass die Hooligan-Gewalt erneut vor allem aus Deutschland, Russland oder England kommt, wogegen Italiener, Spanier oder Portugiesen international kaum negativ auffallen. Was Deutschland betrifft, so erstarken laut Pilz heutzutage wieder Hooligan-Gruppen - und zwar unter dem Einfluss von wachsendem Rechtspopulismus:

"Das unterscheidet den Hooliganismus der 1980er und 1990er Jahre vom heutigen, der sehr viel mehr politisiert, sehr viel mehr rechtsradikal orientiert ist und deshalb auch mit einer sehr viel brachialeren und entgrenzten Gewalt agiert."

Gunter A. Pilz


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Kommentieren

thomas siegfried , Freitag, 17.Juni 2016, 09:57 Uhr

12.

ich dachte dass die russen gelbe karte bekommen haben! wie viele davon braucht man bis man drausen ist? oder wie lange muss man sich prügeln und scheiß bauen bis das ganze em storniert wird? oder ist es egal? hauptsache das geld ist dar!

LiFe, Freitag, 17.Juni 2016, 00:04 Uhr

11. Frankreich schlug Hilfsangebot aus,

weil in Frankreich der Chef seine Autorität einsetzt und Problemlösungen vorgibt. Le patron c'est moi.

Franzosenfreund, Donnerstag, 16.Juni 2016, 20:44 Uhr

10. Frankreich hat nichts gelernt

Frankreich lernt nicht, weil Frankreich viel zu bequem zum Lernen ist. Aufregen nützt nichts. C'est la vie en France.

van Dijke, Donnerstag, 16.Juni 2016, 19:31 Uhr

9. HOOLOGANS

So etwas hört oder liest ma nicht hier in Frankreich. Bravo

Kommentarist, Donnerstag, 16.Juni 2016, 16:19 Uhr

8. Agitation, Propaganda und anderen geistigen Müll in den Kommentaen...

...werden langsam unerträglich!

Ich bin gespalten in der Meinung, nur noch vorher registrierte und identifizierte Kommentatoren zu zulassen. Aber dieser in der Anonymität geschriebene Schwachsinn vieler Kommentatoren, belastet die Online-Redaktionen, die von deutschen Gebührenzahler bezahlt werden müssen. Raus kommen massive Propaganda, Hobbywahlhelfer-, Hetz- und Denunzierungsbeiträge, die des lesens nicht wert sind. Dazu oftmals mit subtilen Beleidigungen. Pseudonyme könnten dann nur für den BR eindeutig identifiziere Nutzer verwendet werden. Die Anonymität ist Fluch- und Segen. Allerdings gehen offensichtlich viele Schreiber nicht verantwortungsvoll mit der Möglichkeit der freien Meinungsäusserung um.

Ich würde mir einen Beitrag des BR wünschen, der sich dieser Thematik annimmt, um wieder eine vernünftige Diskussionskultur zu bekommen. Diesen immer wieder geschrieben Verschwörungsquatsch will ich nicht mehr lesen. Das ist keine Zensur, sondern Zeitverschwendung.