22

Interview zum 11. September "Für einen Augenblick war New York totenstill"

"Nie werde ich diese Farben vergessen", erinnert sich der Münchner Michael Drexler an den Moment, als am 11. September 2001 das zweite Flugzeug ins World-Trade-Center stürzte. Ein helloranges Wabern in dichtem Qualm. Er erlebte New York totenstill - und sich selbst erst bayerisch, später amerikanisch.

Von: Veronika Beer

Stand: 11.09.2015 | Archiv

Michael Drexlers Eindrücke vom 11. September | Bild: Michael Drexler

BR.de: Herr Drexler, was hatten Sie denn eigentlich so geplant für den 11. September 2001?

Michael Drexler: Es war ein wichtiger Tag für mich, da ein Plattenprojekt mit Harry Belafonte veröffentlicht wurde, an dem ich als Tonmeister mitgewirkt habe. Um dies zu feiern, stand ein geschäftliches Frühstück auf dem Programm - im "Windows of the World", einem schicken Restaurant im obersten Stockwerk des Nordturms der Twin Towers, in dem ich bereits mehrere Male zuvor gewesen war. Das Ganze war für 10.00 Uhr angesetzt.

BR.de: Um 8.46 Uhr schlug das erste Flugzeug in genau diesen Nordturm ein.

Michael Drexler: Ja, wir hatten alle unglaublich viel Glück. Nach der Explosion wurde das Treffen natürlich abgesagt. Ich hatte mich ohnehin schon vorher dazu entschlossen, nicht am Frühstück teilzunehmen, denn gleichzeitig sollte das Debütkonzert und ein Fernsehauftritt meiner neuen Band in der Fashion Week am Bryant Park stattfinden. Darauf hatte ich mehrere Monate hingearbeitet. Das war mein eigentliches Ziel an diesem Tag.

Zur Person

Michael Drexler | Bild: Michael Drexler

Michael Drexler, ein Münchner in New York und Augenzeuge des 11. September

Michael Drexler, Jahrgang 1970, wuchs im Münchner Westen auf. Schon während seiner Schulzeit arbeitete er als Sänger und Pianist, unter anderem für Boney M. und Frank Farian, "Das aktuelle Sportstudio" und die ARD. Er ist Diplom-Tonmeister und Jazz-Pianist. Inzwischen ist er als Executive Director für BMI tätig (vergleichbar mit der GEMA).

Drexler lebt seit 1996 in New York City. Er wohnt im 24. Stock eines Bürogebäudes in Midtown Manhattan, von wo aus er auch den Fortschritt des neuen Freedom Towers beobachten konnte.

BR.de: Wie lief Ihr 11. September dann in Wirklichkeit ab?

Michael Drexler: Ich verließ gegen 9.00 Uhr meine Wohnung in Richtung Büro - und sah mit Entsetzen, dass der Nordturm des World Trade Centers brannte. Mit meiner Freundin versuchte ich über CNN herauszufinden, was geschehen war. Doch es gab noch keine Erklärung für den Vorfall, stattdessen so etwas wie eine Schockstarre. Als ich wieder aus dem Fenster blickte, sah es so aus, als würde der Nordturm noch stärker brennen. Dahinter: der Himmel eines wunderschönen und wolkenlosen Spätsommertags.

BR.de: Kurz darauf wurde es noch irrealer, mit dem zweitem Einschlag, dem in den Südturm.

Michael Drexler: Es war unglaublich: Plötzlich trat ein riesiger Feuerwall aus dem Gebäude. Mein erster Gedanke war: Das ist der Beginn des Dritten Weltkriegs. Zeitgleich mit der Explosion gab es einen Ausfall sämtlicher Informationskanäle, inklusive Internet, Fernsehen, Radio und Mobilfunk. Für einen Augenblick war es totenstill in New York City.

BR.de: Wie haben Sie sich selbst damals erlebt?

Aus Opfern werden Helden, aus Sträußen werden Berge, aus Flaggen wird ein Statement.

Michael Drexler: Es war bizarr: Mein Pflichtbewusstsein, ein bayerisches Mitbringsel sozusagen, hat mich dazu bewogen, doch in mein Büro am Times Square zu gehen und den Auftritt auf der Fashion Week vorzubereiten. Auf meinem Fußweg dorthin sah und hörte ich tief fliegende Düsenjets auf dem Weg nach Downtown.

BR.de: Wie reagierten die Amerikaner um Sie herum?

Michael Drexler: Die Menschen auf den Straßen waren aufgewühlt, versammelten sich in kleinen Gruppen und klebten an ihren Radios, um Informationen zu bekommen. Überall waren Feuerwehr-Sirenen zu hören. Im Büro erfuhr ich dann auch, dass beide Türme zusammengestürzt waren, eine für mich unfassbare Geschichte. Ganz Downtown brannte, Rauchschwaden bahnten sich den Weg in Richtung Midtown.

BR.de: Dann waren Sie emotional eher bayerisch oder deutsch als amerikanisch?

Michael Drexler: Zunächst schon. In den Tagen danach mit all der patriotischen Euphorie und dem Zusammengehörigkeitsgefühl schwenkte ich allerdings um. Außerhalb von New York reagierten die Menschen etwas kühler. Aber die Welle der "Star Spangeled Banners" in den USA war enorm - die US-Flagge und -Hymne war überall. Monate später habe ich mich dann doch wieder recht bayerisch gefühlt.

BR.de: Wie erlebten Sie die Monate danach?

Um 9.59 Uhr stürzte der Südturm ein, um 10.28 Uhr folgte der Nordturm.

Michael Drexler: Die Rauchschwaden waren noch bis Weihnachten zu sehen. Die ein, zwei Jahre nach 9/11 waren in NYC geprägt von ständiger Angst vor dem nächsten Attentat. Es gab Meldungen über Drohbriefe mit Anthrax, also Milzbrand. Das Empire State Building wurde fast wöchentlich evakuiert, weil Spürhunde verdächtige Pakete gefunden hatten. Die Zugbahnhöfe New Yorks wurden in Hochsicherheitstrakte verwandelt. Es war keine besonders schöne Zeit in New York.

BR.de: Haben Sie überlegt, nach München zurückzugehen?

Michael Drexler: Ich hatte vermehrt in Deutschland zu tun und habe in dieser Zeit tatsächlich öfter überlegt, die USA zu verlassen. Heute bin ich froh über mein Bleiben. New York hat sich mit neuer Energie und Tatkraft aufgestellt und ist in vieler Hinsicht attraktiver als zuvor.

BR.de: Was bleibt von damals?

Michael Drexler: Bizarrerweise auch sehr schöne menschliche Erinnerungen. Es hat sich wirklich ein neues Gemeinsamkeitsgefühl eingestellt. Und ich werde nie diese Farben vergessen, dieses Hellorange gemischt mit dem schwarzen Rauch, verursacht von der Explosion des zweiten Fliegers.


22