Wie nachhaltig ist Atomenergie?
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Durch Kernenergie wollen derzeit viele Länder versuchen, die Klimaziele zu erreichen.

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War der Atomausstieg in Deutschland ein Fehler?

Während in Deutschland der Atomausstieg nicht mehr in Frage steht, sehen andere Länder in der Kernenergie die einzige Möglichkeit, die Klimaziele von Paris zu erfüllen. Atomkraft ist Klimaschutz, so die Botschaft. Ein Blick in andere Länder weltweit.

Ein Blick nach Brüssel zeigt schon, wie umstritten die Sicht auf Atomenergie auch in Europa ist: Sollen Atomkraftwerke als nachhaltig gelten oder nicht? Das will die EU Kommission festlegen im Rahmen ihres grünen Investitionsprogrammes – nach heftigen Protesten wurde die Entscheidung aufs Jahresende verschoben.

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Atomkraft im Nahen Osten und in der Türkei

Weltweit gibt es gerade einen Wettlauf im Atomkraftwerksbau: In den Vereinigten Arabischen Emiraten ging der erste Atomreaktor im April dieses Jahres in Betrieb. Der Nahe und Mittlere Osten rüsten gerade massiv auf. Und in der Türkei stellte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den nuklearen Status quo infrage. Er sagte, es sei inakzeptabel, dass einige Staaten Atomwaffen hätten, dieses Recht der Türkei aber verwehrt werde.

"Recep Tayyip Erdoğan ist ein Politiker, der die Türkei zu alter historischer Größe zurückführen will. Die Überschrift dafür heißt Neo-Osmanismus. Man will eine Ordnungsmacht im Nahen Osten sein. Und dazu passt es, dass man eben auch sehr, sehr gerne Atommacht wäre", meint ARD-Korrespondent Michael Schramm aus dem Studio Istanbul.

Dabei hätte das Land durchaus auch Kapazitäten für die verstärkte Nutzung von erneuerbaren Energien: Doch die Lobby für diese ökologische Energiegewinnung, meint Schramm, sei relativ klein. Sie sei zwar vorhanden, aber sie habe keine große Sprachkraft im Lande.

Die Energiepolitik Russlands wird zur Machtpolitik

Erdoğans Wunsch: Irgendwann mal über zehn AKWs in seinem Land. Bereits im Jahr 2023, wo sich die Staatsgründung symbolträchtig zum hundertsten Mal jährt, soll der erste Bauteil eines Reaktors ans Netz gehen. Das dazugehörende Kraftwerk befindet sich zurzeit im Bau, in Akkuyu an der Südküste des Landes. Eigentümer: die staatseigene russische Kernenergieagentur Rosatom.

Insgesamt hat die russische Behörde hier die Oberhand: Es sei der Versuch, eine energetische Infrastruktur zu schaffen, die von Russland kontrolliert wird und die in russischer Hand ist, so Schramm. Auch das würde in der Türkei häufig kritisiert. Es hieße, in Wahrheit bliebe das technische Know-how in russischer Hand. Viele Teile dieses Atomkraftwerkes würden türkischen Ingenieuren gar nicht wirklich zugänglich sein.

Ist es also eine Strategie Russlands? Wird hier Energie- zur Machtpolitik? ARD-Korrespondent Michael Schramm hält das für möglich: Ähnlich wie in der Türkei geht der Staatskonzern Rosatom auch in fast 20 anderen Ländern vor.

Klimarettung dank Atomkraft?
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Seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 gilt Atomenergie in Deutschland als Auslaufmodell. Manche Klimaschützer fordern aber ein Comeback.

USA: Klimaneutral durch Kernenergie?

In den USA steht die Kernenergie nicht in der Kritik, im Gegenteil: Präsident Joe Biden zählt weiterhin auf sie, das hat er auch im Wahlkampf um die Präsidentschaft schon klargemacht. Sein Ziel: Bis 2050 sollen die USA klimaneutral sein. Und alleine mit erneuerbaren Energien ginge das noch nicht, deswegen gehöre die Atomkraft auch bei seinem Energiemix hinzu, meint ARD-Korrespondentin Claudia Buckenmaier.

Bill Gates Mini-AKWs

Und auch im Umgang mit den Risiken der Atomkraft hätten die US-Amerikaner einen Vorschlag: Multimilliardär Bill Gates versucht mit seinem Start-up Terrapower Mini-Atomkraftwerke zu bauen, bei denen der Reaktor nicht mit Wasser, sondern mit Natrium gekühlt wird, was ungefährlicher sei.

"Das Ganze wird vom Energieministerium der Biden-Regierung sehr vehement und mit viel Geld unterstützt und soll dann dort Arbeitsplätze sichern. Es ist im Bereich des Infrastrukturprogramms von Joe Biden angesiedelt. Also die Regierung stellt sich ganz klar hinter die neue Technologie", sagt Buckenmaier.

Der Umgang mit China

Doch kann das eine Antwort auf den russischen Einfluss in der globalen Energiepolitik sein? ARD-Korrespondentin Buckenmaier hält es für möglich, dass die Biden-Regierung als Gegenangebot Länder fördert, zum Beispiel beim Bau von Mini-Kraftwerken. Denn auch Washington beobachte mit Sorge, wie der Einfluss von Russland oder auch von China in diesem sehr sensiblen Thema wächst.

Wobei einige Unternehmen aus der Privatwirtschaft, der Atomkraftwerksbetreiber, gerne kooperieren würden mit China, um auch neue Technologien mit den Chinesen gemeinsam zu entwickeln. Auch Bill Gates hatte das 2017 versucht mit seinem Start-up Terrapower, doch Trump hatte geblockt. Biden hat daran bisher nichts geändert.

Türkei: Unverständnis über deutschen Atomausstieg

Claudia Buckenmaier glaubt, dass dennoch auch in den USA bald Fördergelder fließen werden für erneuerbare Energien und dass nicht allein auf Atomkraft gesetzt wird. Denn Biden hat sich ehrgeizige Klimaziele gesteckt, die er erreichen möchte.

Die Türkei wird vorerst weiterhin den Weg zu mehr Atomenergie gehen, meint Korrespondent Michael Schramm. Nicht zuletzt auch, weil dort ein anderes Verständnis von dieser Energieform vorherrsche als in Deutschland: Schramm erinnert sich, dass der deutsche Atomausstieg nach Fukushima in der Türkei vor allem eines ausgelöst habe: völliges Unverständnis.

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