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Corona-Mythen: Warum Bill Gates zur Zielscheibe wird

Politische Absichten, wirtschaftliche Ziele, psychologische Mechanismen: Diese Gründe stecken hinter Corona-Gerüchten und Verschwörungstheorien rund um US-Milliardär Bill Gates - auch im deutschsprachigen Netz.

Mit der Corona-Pandemie haben die Behauptungen, Gerüchte und Verschwörungstheorien um Bill Gates zugenommen. So wird behauptet, dass der Microsoft-Gründer, der mit seiner Frau die Bill & Melinda Gates Stiftung betreibt, etwas mit der Erschaffung des SARS-CoV-2-Virus in einem Labor zu tun habe, er eine Zwangsimpfung mit letztlich schlimmen Folgen erreichen wolle oder er beabsichtige, alle Menschen digital zu überwachen und die Weltbevölkerung zu reduzieren. Der #Faktenfuchs von BR24 berichtete darüber.

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Erst am Montag sagte der umstrittene Youtuber Ken Jebsen in einem Video, nicht die "Wähler der Regierung" entschieden über den Lockdown während der Corona-Pandemie oder auch das Tragen von Schutzmasken, sondern die Bill & Melinda Gates Foundation. Das Ehepaar Gates habe sich "über die WHO in die Weltdemokratien hineingehackt". Jebsen meint: "Gates kapert Deutschland!" Und der Koch und Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann postete auf Facebook, Gates wolle "über die nationalen Regierungen eine globale Gesundheitsdiktatur erreichten". Warum wird ausgerechnet Gates zur Zielscheibe von Mythen und Verschwörungstheorien?

Corona-Maßnahmen als politisch motiviert darstellen

"Die aktuellen Verschwörungstheorien zu Bill Gates und dem Coronavirus erscheinen mir in erster Linie politisch motiviert", sagt Andreas Jungherr, Professor an der Universität Konstanz für den Studiengang "Social Science Data Collection and Analysis" (Sozialwissenschaftliche Datenerfassung und Analyse). "Manche sehen die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus nicht als objektiv und wissenschaftlich begründete Reaktion, sondern als politisch motivierten Eingriff in Freiheitsrechte", so Jungherr weiter. In den USA werde dies noch durch die bevorstehenden Wahlen verschärft. Mit Verschwörungstheorien um Bill Gates könne man die Schwere der Corona-Pandemie herunterspielen. "Was vorher objektiv notwendig und wissenschaftlich begründet schien, kann jetzt als im Interesse einer globalen Elite diskreditiert werden", erklärt der Experte für Sozial- und Wirtschaftsdaten.

Umstrittene Theorien bringen Klicks

Zudem können wirtschaftliche Interessen dahinterstecken. "Verschwörungstheorien sind kontrovers und ziehen Klicks, die werden wiederum durch Werbung monetisiert", erläutert Jungherr. Vielen gehe es mit ihren Youtube-Channels darum, Besucher anzuziehen. Jungherr: "Hier sind kontroverse Verschwörungstheorien attraktiv."

Nikil Mukerji, Philosoph an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, teilt die Verbreiter von Verschwörungstheorien prinzipiell in zwei Gruppen ein: echte "Überzeugungstäter" und Profiteure, denen es zum Beispiel um Geld oder mehr politischen Einfluss geht. Was tatsächlich vorliegt, müsse man im Einzelfall entscheiden.

Gates als idealer Sündenbock

Durch die Corona-Pandemie sterben Menschen, viele werden krank. Viele haben Angst um ihre wirtschaftliche Existenz oder bereits ernsthafte Schwierigkeiten. Es sei psychologisch nachvollziehbar, so Mukerji, dass man das jemandem in die Schuhe schieben wolle und einen Schuldigen sucht. "Bill Gates scheint da als Projektionsscheibe ideal", so Mukerji, der den Studiengang Philosophie-Politik-Wirtschaft leitet, "Gates hat viel Geld – was ihn per se für viele Menschen verdächtig macht – und er hat weit weniger unter der Pandemie zu leiden als wirtschaftlich schlechter Gestellte."

Es gebe einen verbreiteten Glauben, so Mukerji, dass reiche Menschen nur deswegen reich seien, weil sie anderen etwas weggenommen hätten. Für einige möge das zutreffen. Aber Wirtschaft insgesamt als ein Nullsummenspiel zu betrachten, in dem einer nur gewinnen könne, was er anderen wegnehme, sei "belegbar falsch". Das lehre die Wirtschaftswissenschaft.

Zudem ärgere wohl viele, dass private Philanthropen sich politisch einmischen und aufgrund ihres Geldes und Einflusses auch etwas bewegen können, ohne demokratisch gewählt zu sein. Darin könne man zwar ein Demokratiedefizit sehen, erläutert Mukerji. Aber andererseits sei die Effektivität von privaten Hilfsgeldern belegbar und zum Beispiel von der Non-Profit-Organisation GiveWell evaluiert worden.

Nicht jede Verschwörungstheorie ist falsch

In Krisen, so der Konstanzer Professor Jungherr, verbreiten sich regelmäßig Verschwörungstheorien. Sie versprechen "einfache Erklärungen und bestätigen bereits vorhandene Meinungen". Die Theorien fallen also dann auf fruchtbaren Boden, wenn sie ins eigene Weltbild passen.

Nach Mukerji müsse man grundsätzlich zwischen wahren und falschen Verschwörungstheorien unterscheiden: "Wenn eine Verschwörungstheorie wahr ist, denken wir etwa an die Watergate-Verschwörung, dann tun diejenigen, die sie vertreten, unter Umständen einen Dienst an der Gesellschaft, indem sie uns aufklären." Nur wenn eine Verschwörungstheorie falsch und umso mehr, wenn sie zudem gefährlich sei, solle man versuchen, ihre Anhänger davon abzubringen.

Doch das ist oft nicht einfach, weil es nicht um ein paar Fakten, sondern oft um ein ganzes Weltbild geht. Das kann dazu führen, so Jungherr, dass Informationen, die zeigen, dass Annahmen falsch sind, "als nicht neutral und dadurch auch als nicht gültig angesehen werden".

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