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Streit um Ceta-Abkommen In Belgien glätten sich die Wogen

Scheitert Ceta am Widerstand der Wallonen? Wohl eher nicht, denn die französisch-sprachigen Bewohner Belgiens fühlen sich mit ihren Bedenken endlich ernst genommen. Im Kern geht es um die Rechte der Bauern.

Von: Ralph Sina

Stand: 26.10.2016

Der belgsche Premie Charles Michel | Bild: picture-alliance/dpa/Thierry Roge

"Jetzt wird uns zugehört" sagte der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette zufrieden, als er gestern kurz nach 22.00 Uhr das belgische Außenministerium verließ. Sechs Stunden hatten dort die Ministerpräsidenten sämtlicher belgischen Regionen und Sprachgruppen mit Belgiens Außenminister Didier Reynders über eine einheitliche Sprachregelung zu Ceta verhandelt.

Bislang hatte Ceta die Gräben zwischen der Wallonie und Flandern in Belgien noch verstärkt. Die Flamen sehen eine Chance dank Ceta den Hafen von Antwerpen durch Warenlieferungen von und nach Kanada noch profitabler zu machen. Die Wallonen fürchten um ihre bäuerlichen Familienbetriebe.

Kanadas Premier in der Nebenrolle

Letzeren geht es vor allem darum die Rechte ihrer Bauern zu schützen. Ein Durchbruch wurde zwar noch nicht erreicht. Aber alle Teilnehmer des innerbelgischen Krisengesprächs sind optimistisch, dass sie heute eine einheitliche Position zum CETA-Vertrag formulieren, der anschließend sämtliche Regionalparlamente Belgiens und die Zentralregierung zustimmen - eine Position, die auch von der EU-Kommission und von allen anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten akzeptiert wird.

CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) | Partner EU -Kanada

Was wir wissen

Bei CETA wie bei TTIP fanden die Verhandlungen im Geheimen statt. Doch anders als TTIP ist CETA inzwischen ausverhandelt, die Ergebnisse sind im Netz einsehbar - allerdings nicht die "interpretierende Zusatzerklärung", die geleakt und vom Anti-CETA-Bündnis Campact zerpflückt wurde. Jetzt ist sie noch einmal aufgebohrt und um die Nachbesserungen der Wallonen erweitert worden.

Der Partner

Kanada: Gut doppelt so groß wie die Europäische Union, aber nur 36 Millionen Einwohner. Wirtschaftlich gesehen hat das Abkommen für Trudeau mehr Gewicht als für Europa: Die EU ist Kanadas zweitwichtigster Handelspartner - umgekehrt belegt Kanada unter den EU-Wirtschaftskontakten derzeit Rang 12. Verglichen mit den USA ist Kanada für die EU der angenehmere Partner: Sozial- und Umweltstandards sind eher mit den europäischen in Übereinstimmung zu bringen, der seit 2015 amtierende Premierminister Justin Trudeau ist der EU in wichtigen Punkten entgegengekommen: Beim Investorenschutz, den Schiedsgerichten, dem Vorsorgeprinzip, der Daseinsvorsorge.

Allerdings stehen die Passagen in einer Zusatzerklärung, nicht im eigentlichen Text - ein Hauptkritikpunkt der wallonischen CETA-Rebellen, die die Rechtsverbindlichkleit in Frage gestellt hatten.

Rein - und raus?

CETA wie TTIP werden als völkerrechtliche Verträge der EU verhandelt, wären also für Deutschland einseitig nicht kündbar. Das Bundesverfassungsgericht hat das vorläufige "Go" für die deutsche Zustimmung in seinem Eilentscheid aber mit einem Vorbehalt versehen: Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass Deutschland aussteigen kann, falls das Gericht in der Hauptverhandlung zum Ergebnis kommen sollte, dass CETA ganz oder teilweise verfassungswidrig ist.

Eine weitere Forderung aus Karlruhe: Solllte CETA "voräufig" in Kraft treten - durch die EU-Kommission unterzeichnet, aber noch nicht durch Zustimmung aller Mitgliedländer bestätigt - bleiben Regelungen in nationaler Zuständigkeit, etwa zum Arbeitsschutz, davon unberührt.

Schiedsgerichte

Auch in CETA gibt es Paralleljustiz - in der letzten Fassung allerdings keine privaten Schiedsgerichte, sondern einen ständigen Gerichtshof, dessen Richter von Kanada und der EU ernannt werden. Die Sitzungen sollen öffentlich sein. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), sieht eine deutliche Verbesserung. Es sei festgeschrieben, dass neue und geänderte Gesetzgebung sowie die Vergabe oder Kürzung von Beihilfen "kein Klagegrund" seien. Die Opposition bleibt skeptisch. Zwar sei die Neuregelung transparenter. "Aber es bleibt bei dem grundlegenden Prinzip: Unternehmen können Regierungen verklagen, wenn sie ihre Gewinnerwartungen durch ein neues Gesetz in Gefahr sehen", so Linken-Politiker Helmut Scholz.

Auf Wunsch der Wallonie sind die Kriterien für die Ernennung von Richtern präzisiert worden; zudem soll der Europäische Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Regelung überprüfen.

Die Bundesregierung klammert die Regelungen zum "Investitionsschutz" aus, solange Ceta noch nicht durch alle nationalen Parlamente ratifiziert wurde. Sie entspricht damit einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts.

Die Kritiker

Neben der Wallonie gelten auch Österreich und Rumänien als CETA-Kritiker, letzteres aufgrund von Visa-Differenzen. Alle drei haben dem Kompromiss jetzt zugestimmt. Im Fall Österreichs profitiert Brüssel von den Verzögerungen bei der Präsidentschaftswahl: beide Bewerber lehnen CETA in der aktuellen Form ab.

In Deutschland wurde ein Eilantrag gegen CETA vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt, allerdings unter eindeutigen Bedingungen. Das Urteil im Hauptverfahrten steht noch aus. Grüne, Linke, AfD (nicht aber ihre Abspaltung Alfa) sowie Freie Wähler und mehrere Initiativen wie Campact und Foodwatch bleiben bei ihrer Ablehnung. In Bayern läuft derzeit ein Volksbegehren, dessen Initiatoren die Staatsregierung per Gesetz verpflichten wollen, im Bundesrat gegen Ceta zu stimmen.

Ob Kanadas Premier Trudeau dann den Regierungsjet Richtung Belgien besteigt und es noch in dieser Woche zu einem EU-Kanada-Gipfel komme, ist aus Sicht des ehemaligen belgischen Premier Guy Verhofstadt völlig zweitrangig. Für den einflussreichen liberalen EU-Abgeordneten und Brexit-Verhandler des europäischen Parlamentes zählt nur eines: Das Freihandelsabkommen selber und dessen Annahme durch die EU.

EU-Komission könnte die Notbremse ziehen

Da das EU-Parlament  erst  im Januar über das Freihandelsabkommen  abstimmen wolle, gebe es zuvor noch ausreichend Zeit um mit den CETA -Gegnern in der Wallonie und in der Region Brüssel zu verhandeln. Am elften November könnten dann die EU-Handelsminister bei ihrem regulären Treffen in Brüssel erneut das Abkommen mit Kanada auf ihre Tagesordnung setzen und den Weg für die Ceta-Ratifizierung freimachen. Und zwar auf dem letzten EU-Gipfel in diesem Jahr kurz vor Weihnachten. 

Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Parlamente der Wallonie und der Region Brüssel das Ceta-Abkommen weiterhin blockieren und Belgien beim Handelsministertreffen im November erneut keine Unterschriftsvollmacht aller Regionen hat, könne die Kommission ja die Notbremse ziehen schlägt der liberale belgische EU-Abgeordnete Verhofstadt vor. 

Die EU-Kommission könne CETA dann zu dem erklären, was das 1600 Seiten-Dokument aus Jean-Claude Junckers Überzeugung immer war: ein reines Handelsabkommen - und damit ausschließlich eine Angelegenheit der EU-Kommission und des europäischen Parlamentes. Verhofstadt ist dafür, CETA mit aller Kommissionsmacht durchzuboxen, sollte es Belgien nicht gelingen, sich auf eine zustimmende Formulierung zu dem Vertrag zu einigen. Doch dann würde CETA erst recht scheitern - und zwar nicht nur am Widerstand der Wallonie.


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ABC, Mittwoch, 26.Oktober 2016, 15:55 Uhr

5. Widerstand gegen CETA

Hunderttausende deutsche Wähler vertrauen den CETA-Vereinbarungen nicht. Wenn man sieht mit welcher Eile, dieses umstrittene Projekt durchpeitscht werden soll, dann kann man das Misstrauen verstehen.
Selbst die Wallonen - Bewohner S-Belgiens und des angrenzenden Frankreich - sind entschiedene Gegner von CETA. Schade, dass man böses dabei denkt!
Ja die Wirtschaft und die Politik sind doch ein gutes Gespann. Da hilft jeder jedem - aus reine christlichen Nächstenliebe!

Leser, Mittwoch, 26.Oktober 2016, 14:35 Uhr

4.

Es verschärft sich der Eindruck, das die Wallonen die einzigen in der EU sind, die tatsächlich des Lesens mächtig sind.
Weiter so !

winfried, Mittwoch, 26.Oktober 2016, 14:30 Uhr

3. Die EU-Fratze hinter der Maske

Zitat aus diesem BR-Artikel:
... schlägt der liberale belgische EU-Abgeordnete Verhofstadt vor.
Die EU-Kommission könne CETA dann zu dem erklären, was das 1600 Seiten-Dokument aus Jean-Claude Junckers Überzeugung immer war: ein reines Handelsabkommen - und damit ausschließlich eine Angelegenheit der EU-Kommission und des europäischen Parlamentes. Verhofstadt ist dafür, CETA mit aller Kommissionsmacht durchzuboxen, sollte es Belgien nicht gelingen, sich auf eine zustimmende Formulierung zu dem Vertrag zu einigen.

--> Mein Fazit ... Wenn's mit Demokratie nicht geht, dann zurück(!!!) zum Absolutismus.

Bayer, Mittwoch, 26.Oktober 2016, 13:24 Uhr

2. Wozu

Wenn weder Kanada noch die EU den Vertragstext noch ändern wollen - wozu dann noch verhandeln? Belgien hat Nein gesagt und damit Basta!
Entweder der Vertrag wird noch angepasst oder das war es. Tschüss CETA (und im Schlepptau auch TTIP).

Gion Ragaz , Mittwoch, 26.Oktober 2016, 12:14 Uhr

1. Ceta

Puh, ich hoffe einfach, dass die Wallonen ihren Widerstand durchziehen und sich gegen die Arroganz der Macht der EU-Funktionäre und der Grosskonzerne durchsetzen. Davon können wir Schweizer auch ein Lied singen. Wenn sie das schaffen, dann lautet mein nächstes Ferienziel: Wallonien!