20

Bricht das Vereinigte Königreich auseinander ? Nach dem Brexit drohen "Scoxit" und "Nixit"

Fast noch gespannter als die Briten sehen die 5,4 Millionen Schotten dem Referendum entgegen - gut möglich, dass sie im Fall eines Brexits lieber Mitglied der EU als Teil Großbritanniens bleiben wollen. Noch komplizierter ist die Situation in Nordirland.

Von: Stephanie Pieper und Michael Kubitza

Stand: 21.06.2016

Großbritannien und die Schottland-Frage | Bild: picture-alliance/dpa

Schon als kleiner Junge war Neil MacPhail ein begeisterter Dudelsackspieler, heute tritt er bei Hochzeiten und in Pubs auf. Der Dudelsack ist ihm aber nicht nur Passion, sondern Profession: Der 25-Jährige arbeitet bei "Bagpipes Galore". Die Firma baut Dudelsäcke, die sie in einem Geschäft in Edinburgh verkauft - und im Internet. Was er vom Brexit hält?

"Wir senden Dudelsäcke nach Frankreich. Wir haben Kunden in ganz Europa. Als Geschäftsmann glaube ich, dass uns ein Abschied von Europa nicht zugute käme."

Neil MacPhail

Viele Schotten sind überzeugte Patrioten - und fühlen sich zugleich als Europäer

Das sieht auch Rentner Donald so, der vor allem an Jobs und Fördergelder denkt. Außerdem fühlt er sich wie viele Schotten als echter Europäer. Studentin Aiona nennt noch ein anderes Argument, warum der Brexit in Schottland mäßig populär ist: Aus der EU raus wollten doch vor allem die Konservativen – und von denen gebe es nun mal nicht so viele in Schottland. Tom Devine, Professor an der Universität Edinburgh bestätigt ihre Sicht.

"Die meisten Schotten glauben an einen starken Staat und lehnen die Privatisierungspolitik der Regierung in London ab."

Tom Devine, Historiker

Dazu kommt: die Zuwanderung, ein Hauptargument der Brexit-Befürworter, verbreitet in Schottland weniger Widerwillen als in England. Während viele Engländer die zahlreichen Immigranten aus der EU als Konkurrenten um Arbeitsplätze und als Belastung der Sozialsysteme betrachten, ist Schottland mit seiner alternden Bevölkerung in ländlichen Regionen auf die Zuzügler angewiesen.

Wenn Aiona, Neil und Donald am 23. Juni wählen gehen, werden sie ihr Kreuz wohl bei "Remain" machen. Genau wie eine - zuletzt freilich schrumpfende - Mehrheit der Schotten.

Umfragen: Die Mehrheit der Schotten ist gegen den Brexit

Einer Umfrage vom 15. Juni zufolge sind die Schotten mehrheitlich für einen EU-Verbleib Großbritanniens. 53 Prozent wollen den Status Quo beibehalten, 32 für einen Brexit stimmen, so die Meinungsforscher von Ipsos MORI. Vor sechs Wochen fiel das Verhältnis mit 66 zu 29 allerdings noch deutlicher zugunsten der EU-Befürworter aus.

Zweite Chance für die schottische Unabhängigkeit?

Alle fünf Parteien im Parlament in Edinburgh werben für den Verbleib in der EU. Meinungsführer ist die Scottish National Party (SNP), die für eine eher linke Politik steht. Die populäre Partei- und Regierungschefin Nicola Sturgeon positioniert sich pro-europäisch.

"Für mich sind die sozialen Errungenschaften der EU besonders wichtig: der Schutz von Arbeitnehmern, das Recht auf Elternzeit, auf bezahlten Urlaub. Das alles ist besser garantiert, wenn wir Teil der EU sind."

SNP-Chefin Nicola Sturgeon.

Sturgeons Vision bleibt eine unabhängige schottische Nation, verankert in der EU. Ihre Partei strebt weiter die Loslösung des Nordens vom Rest Großbritanniens an. Beim Volksentscheid vor knapp zwei Jahren konnten sich dafür nur rund 45 Prozent begeistern. Jetzt wittert Sturgeon die Chance, ihr Ziel doch noch zu erreichen. Nämlich dann, wenn es – gegen den erklärten Willen der Schotten – zum Brexit käme.

Auf einen Blick: Das (noch) Vereinigte Königreich

Nordirland: Der (Alp-)Traum der irischen Wiedervereinigung

Auch unter den 1,8 Millionen Einwohnern Nordirlands beflügelt die Brexit-Debatte alte Abspaltungsphantasien von Großbritannien - und rührt an das alte Trauma des Konfliktes zwischen Katholiken und Protestanten.

Sollte Großbritannien für den Brexit stimmen, müsse es unmittelbar danach auch ein Referendum über eine Wiedervereinigung Irlands geben, fordert etwa der stellvertretende Erste Minister Nordirlands, Martin McGuinness. Der Politiker gehört der historisch mit der IRA verbundenen Partei Sinn Fein an, die hauptsächlich von katholischen Nationalisten unterstützt wird und Nordirland wieder mit Irland vereinen möchte. Die Mehrheit der Bevölkerung in Nordirland bilden aber Protestanten, die Teil des United Kingdom bleiben wollen.


Der britische Finanzminister George Osborne prophezeit, ein Brexit würde unausweichlich Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach sich ziehen. Dies könnte der nordirischen Wirtschaft schaden, die gut ein Drittel ihrer Güter in den Nachbarstaat ausführt. Die beiden früheren britischen Premierminister Tony Blair und John Major warnten bei einem Besuch in der Provinz sogar vor einem Wiederaufflammen der Gewalt im Fall eines Brexits.

Wales: Der widerwillige Profiteur

Und wie steht es mit den drei Millionen Walisern, die dem großen Bruder England gerade die Führung in der EM-Gruppe Wales abgeluchst haben?

Schafherde in Wales: Wo geht's lang?

Die Menschen zwischen Angelsey und Vale of Glamorgan profitieren pro Kopf am meisten von den Umverteilungsmitteln der EU - von Strukturfördermaßnahmen ebenso wie von direkten Hilfen für die Landwirtschaft. Die Schafzüchter etwa könnten ohne Subventionen aus Brüssel kaum überleben. Dazu kommt, dass die Leidenschaft zwischen Cardiff und London nicht gerade kocht.

"Wir wissen, dass Wales uns nicht mag. Mögen wir sie? Nicht wirklich!"

Englands Mittelfeldstar Jack Wilshere

Eine sichere Bank für Brexit-Gegner? Mitnichten. In Umfragen zeigen sich die Waliser bislang unentschlossen und kaum EU-freundlicher als die Engländer. Auch deshalb zählte Wales zuletzt zu den Hauptaufmarschplätzen beider Kampagnen. Was passiert, wenn die walisischen Bauern und Stahlwerker im Fall des Falles realisieren, dass ihr Wohlstand nicht nur auf eigener Arbeit und Wohltaten aus London basiert hat, steht in den Sternen.

Zerstört der Brexit Britannien?

Im Worst Case könnte der Brexit eine Folge unkontrollierter Zellteilungen auslösen, an deren Ende das Vereinigte Königreich Geschichte wäre.

Die seit 300 Jahren währende Union zwischen England und Schottland jedenfalls gleicht seit jeher einer Vernunftehe - so wie die Beziehung zwischen Großbritannien und der EU von Anfang an nicht spannungsfrei war.


20

Kommentieren

christian waschgler, Mittwoch, 22.Juni 2016, 22:48 Uhr

7. brexit

Ich hoffe die Engländer fliegen morgen aus der EU. Diese Privilegienritter glauben immer noch dass "Grossbritannien" ein Weltreich ist nach dem die Welt zu parieren hat. Dabei sind sie nur mehr ein armseliger Haufen der ohne untergeht. Sie haben über Jahrhunderte beinahe die ganze Welt versklavt, ausgeraubt, unterdrückt und mit Kriegen überzogen. die britischen "Helden" - alles SIR - waren allesamt nur Verbrecher oder Piraten

Franz, Mittwoch, 22.Juni 2016, 18:22 Uhr

6. Schottland

Die Schotten werden es sich nicht bieten lassen, dass GB aus der EU ausscheidet. Dann ist ein neues Referendum mit Wiedereintritt Schottlands abzusehen. Können die Engländer dann sehen, wo sie bleiben.

Francesco, Mittwoch, 22.Juni 2016, 08:54 Uhr

5. Brexit, na und.... ?

Natürlich kenne auch ich die Folgen eines Brexit nicht, aber ich bin sicher, dass er für Europa langfristig besser ist, als die ewige Nörgelei der Briten weiterhin zu ertragen. Wichtig ist nur, dass Europa und da insbesondere Deutschland die Konsequenzen kompromisslos durchzieht. Ich bin überzeugt, dass - mittel-/langfristig und nach überstandener Durststrecke in Export-Deutschland - dann allein die Briten die wirklichen Verlierer sind. Die anderen unzufriedenen Länder werden sich dann überlegen, ob sie immer noch austreten wollen..... Es muss endlich mal Schluss sein mit der Erpressung. Was aber endlich passieren muss ist, dass die Fehler bei der Gründung der EU einvernehmlich bereinigt werden, die EU nur strategisch wichtige Rahmenbedingungen vorgibt und sich nicht auch noch um krumme Gurken kümmert sowie den Draghis und Junckers die selbstherrlichen Entscheidungen zu Lasten und gegen die Interessen der Länder unmöglich gemacht werden. Also: Mehr Europa durch weniger EU-Diktat !!!!

  • Antwort von Babsi, Mittwoch, 22.Juni, 09:43 Uhr

    Welche Fehler? Träumen sie weiter!

Brexit sehr gerne, Dienstag, 21.Juni 2016, 11:25 Uhr

4. Brauchen ursprünglich eigenständige, souveräne und über Jahrhunderte gewachsene

europäische Staaten/Länder supranationale Organisationen wie die EU ? Ich würde sagen nein, und wenn die Frau Sturgeon meint, wegen der Sozialstandards in der EU bleiben zu wollen..., wird sie in naher Zukunft eines besseren belehrt werden...Wenn die EU nämlich mit den Nord-Amerikanern erstmal CETA/TTIP durchgedrückt hat, dann werden ihr diese weltumspannenden, internationalen Konzerne sehr schnell erklären, was sie von sozialen Belangen, bzw.möglichen Renditeeinschränkungen halten werden...Globalisierung nützt so in erster Linie großen, börsennotierte Unternehmen, Länder werden zum Spielball ihrer Interessen...eine Freihandelszone wie die ehemalige EG/EWG würde vollauf genügen, es hat wunderbar funktioniert, ein Europa, mit unterschiedlichen Völkern, Ethnien und Kulturen ist doch viel reizvoller als eine von Lobbyisten und hörigen Politikern geschaffene anonyme,intransparente Organisation namens EU, die diese Länder dominieren möchte. Und gleich macht, was dem Wesen ungleich ist..

Beneider, Dienstag, 21.Juni 2016, 10:18 Uhr

3. Brexit

Ich hoffe, die Briten bleiben uns erhalten. Aber sie haben wenigstens die Möglichkeit, demokratisch darüber abstimmen zu können, was man sich für unser Land oftmals dringendst wünschen würde. Hier wird " von oben bestimmt, was laufen soll, von Personen, die man nicht gewählt hat. Daher wäre hier eine einfache Wahlmehrheit wünschenswert. Das nur so als Nachschlag.

  • Antwort von Truderinger, Dienstag, 21.Juni, 10:35 Uhr

    "von Personen, die man nicht gewählt hat"? Sie meinen, die SIE nicht gewählt haben. Die Mehrheit des Volkes hat diese Personen sehr wohl gewählt. Das ist Demokratie. Leider wird sie in jüngster Zeit immer wieder von Rechtspopulisten mit Verweis auf vermeintlich mehr Demokratie durch Bürgerentscheide in Frage gestellt. In Wirklichkeit geht es diesen Personen jedoch nicht um mehr Demokratie, sondern nur darum, häufiger durch Agitation und Hetze den Politikbetrieb stören zu können.

  • Antwort von Brexit sehr gerne, Dienstag, 21.Juni, 11:51 Uhr

    @Truderinger: Ich seh's gerade umgekehrt: Gerade weil unsere sog.Demokrate tatsächliche, direkte Mitbestimmung des Volkes ausschließt, gärt es im Lande...Es spricht doch absolut nichts dagegen, wenn eine Kommission von Verfassungsjuristen und Staatsrechtlern festlegt, dass das Volk bei noch festzulegenden Fragestellungen auf Bundes-und Europaebene ein direktes Mitspracherecht hat. Gerade bei der Einsetzung der EU, was im Endeffekt der Aufgabe der völligen staatlichen Souveränität der angeschlossenen europ.Länder gleichkommt, muss das jeweilige Volk die letzte Entscheidungbefugnis haben.
    Dafür sind die Folgen zu weitreichend, und greifen zu tief ein. Das ist aber eben leider nicht geschehen!!!.
    Und wenn ich mich an die 'Rumeierei' der EU-Kommision, als es um den EU-Bürgerentscheid zur sog.Privatisierung der Trinkwasserversorgung ging, erinnere, "...wir fühlen uns daran nicht gebunden..."erst öffentl.Druck ließ die mit unangemessener Machtfülle ausgestattete EU-Kommission einlenken...