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Abschiebungen in sichere Herkunftsländer Schnell, aber auch fair?

Asylantrag abgelehnt, Bleiberecht verweigert, die freiwillige Ausreise nicht angetreten  - trifft das alles zu, dann droht eine Abschiebung. Aus Bayern wurden in diesem Jahr rund 2300 Asylbewerber zurückgeführt, die meisten in sogenannte "sichere Herkunftsländer". Ganz oben auf der Liste: Albanien, Kosovo oder Serbien. Doch darunter gibt es immer wieder Abschiebungen, die rechtlich fragwürdig sind.

Von: Judith Dauwalter und Lisa Weiß

Stand: 04.09.2016

Flugzeug am Flughafen Hannover vor Stacheldraht | Bild: picture-alliance/dpa

Jonida und Donika – ihre richtigen Namen wollen die beiden Frauen aus dem Kosovo hier nicht lesen – sind vor wenigen Wochen in ihre Heimat abgeschoben worden. Laut Gesetzgeber drohen dort weder Verfolgung noch Krieg. Deshalb gilt der Kosovo als sicheres Herkunftsland. Aber Jonida fürchtet im Kosovo um ihr Leben. Und Donika will ihrem Leben im Kosovo ein Ende setzen. Ihre Abschiebungen werfen die Frage auf, ob das Schnellverfahren der Behörden Einzelfälle wirklich ausreichend berücksichtigt.

Der Fall "Jonida"

Zurzeit versteckt sich Jonida irgendwo im Kosovo vor ihrer Familie, erzählt ihre Anwältin Petra Haubner. Dass die junge Frau lesbisch ist, so die Anwältin, wollte die einflussreiche Familie nicht akzeptieren, eine Zwangsheirat stand im Raum.  Die Kosovarin floh nach Deutschland und lebte in einem Frauenhaus in Oberbayern.

Was sie zur Flucht trieb und warum der Kosovo für sie kein sicheres Herkunftsland darstellt, wollte Jonida den Behörden bei ihrem Anhörungstermin selbst genau erklären. Aber dazu kam es nie. Denn der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angesetzte Termin sei nicht zu halten gewesen, sagt die Anwältin. Sie beantragte deshalb, den Termin zu verschieben.

"Der Verlegungsantrag ist komplett ignoriert worden. Und dann kam der ablehnende Bescheid im Mai, knapp drei Wochen nach dem Anhörungstermin."

Petra Haubner, Anwältin

Das Bundesamt schreibt auf Anfrage des Funkstreifzugs: Der zuständige Entscheider habe nie einen Verlegungsantrag bekommen, die Kosovarin sei also unentschuldigt nicht beim Termin erschienen. In diesen Fällen kann das Bundesamt nach Aktenlage entscheiden, also ohne den Betroffenen anzuhören. Dass ihre Briefe nie beim Entscheider landeten, wundert Anwältin Haubner nicht. Faxe und Post kämen oft nicht rechtzeitig beim zuständigen Sachbearbeiter an. Je nach Verfahren könne es vier bis acht Wochen dauern bis die Schreiben in der jeweiligen Akte abgeheftet würden.

Auf Anfrage des Funkstreifzugs räumt das BAMF ein, dass sich aufgrund des enormen Anstiegs an Asylanträgen die Bearbeitungsdauern verlängert hätten, und es daraufhin zu "erhöhten und berechtigten Nachfragen von Betroffenen und Dritten" gekommen sei. Und weiter heißt es:

"Demzufolge ist auch das Postaufkommen massiv angestiegen. Sollte in Einzelfällen ein Versäumnis des BAMF festgestellt werden, wird das Verfahren an dieser Stelle im Interesse des Betroffenen geheilt, das heißt, es erfolgt eine neue Terminvereinbarung."

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

In Jonidas konkretem Fall ist das laut Petra Haubner nicht passiert. Die Anwältin hat Klage gegen die Entscheidung des BAMF eingelegt. Das Verfahren läuft noch. Weil der Eilantrag auf vorläufigen Rechtsschutz aber abgelehnt wurde, ist Jonida schon in den Kosovo abgeschoben worden. Ein Schnellverfahren ohne richtige Einzelfallprüfung?

Schnellverfahren im BAMF

Auch ein Mitarbeiter des BAMF bestätigt dem Funkstreifzug: Asylanträge von Menschen aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern würden zum großen Teil in Entscheidungszentren bearbeitet. Dort säßen viele neue Entscheider ohne Erfahrung – die meisten seien Beamte von der Post, der Bahn oder der Telekom. Der Mitarbeiter selbst will unerkannt bleiben, schildert dem Funkstreifzug aber seine Gewissensbisse:

"Dass der oben genannte Personenkreis aufgrund hohen Zahlenvorgaben aus Nürnberg nur noch fabrikmäßig entscheiden und sich nicht etwa dem Einzelfall mit der erforderlich Sorgfalt und Zeit widmen kann, ist nur zu verständlich. Die Verantwortung für dieses unseriöse Asylverfahren tragen die Zahlenfetischisten in Nürnberg, die nur Erfolgszahlen nach Berlin melden wollen, alles andere ist egal. Es ist so traurig und hoffnungslos und die betroffenen, durch den Rost gefallenen Asylbewerber schmerzen uns selbst  am meisten."

Mitarbeiter BAMF

Der Mitarbeiter spricht von einer internen Zahlenvorgabe wie: vier Anhörungen pro Tag und 20 Asylentscheidungen pro Woche. Das Amt schreibt, Zahlenvorgaben wirkten sich nicht negativ auf die Qualität der Entscheidungen aus.

"Gleichwohl bleibt es eine Herausforderung für das BAMF, dem Anspruch auf eine zügige Verfahrensbearbeitung und dem berechtigten Anspruch auf eine hohe Qualität in der Prüfung des Asylanspruchs gerecht zu werden. Hier entstehende Arbeitsfehler greifen wir im Rahmen der Qualitätssicherung täglich auf."

BAMF

Der Fall "Donika"

Den Morgen, an dem Donika und ihre Familie abgeschoben wurden, wird sie wohl nie vergessen. Die junge Mutter nimmt starke Medikamente gegen Depressionen und leidet ohnehin an Schlaflosigkeit.

"Um 6 Uhr morgens hörte ich dann plötzlich Polizisten. Sie öffneten unsere Türe und sagten uns, wir hätten eine halbe Stunde Zeit um unsere Sachen zusammenzupacken. Mein Mann sagte den Polizisten, dass ich an einer psychischen Krankheit leide und dass die Familie noch auf das Attest vom Arzt warten würde - doch die Polizisten interessierten sich nicht dafür."

Donika

Ende Juli wurde die Familie in den Kosovo abgeschoben. Eineinhalb Jahre lang hatte Donika in Deutschland gelebt. Die Asylanträge aller Familienmitglieder hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt, da der Kosovo als "sicheres Herkunftsland" gilt. Formal spricht erstmal nichts gegen die Abschiebung. Doch es gibt ein anderes gewichtiges Argument dagegen, das die Behörden selbst festgestellt haben: Die junge Mutter ist schwer depressiv und hat bereits versucht, sich umzubringen.

"Eine Rückführung in das Heimatland ist aus amtsärztlicher Sicht derzeit nicht verantwortbar. Bei einer Abschiebung ist eine Suizidreaktion nicht auszuschließen. Mit einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist zu rechnen."

Gutachten Gesundheitsamt Ingolstadt

Die zentrale Ausländerbehörde der Regierung von Oberbayern hatte dieses Gutachten selbst in Auftrag gegeben. Und obwohl das Amt in seinem Schreiben von Mitte Juni noch ausdrücklich davon abrät, wurde Donika Ende Juli abgeschoben. Das Innenministerium argumentiert, ein begleitender Arzt habe die Reisefähigkeit der Frau während des Fluges festgestellt. Das amtsärztliche Attest sei überholt. Laut Gesetz geht es beim Abschiebungsverbot aber nicht nur darum, ob jemand in den Flieger steigen kann, sondern darum, ob nach der Abschiebung Gefahr für Leib und Leben drohen. Und diese Bedenken stehen ausdrücklich im Gutachten des Gesundheitsamtes über Donika.

Zwischen Symbolpolitik und Rechtsstaatlichkeit

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, abgelehnte Asylbewerber konsequenter und effektiver abzuschieben als bisher. Bayern sieht sich als Vorreiter, der Innenminister Joachim Herrmann (CSU) setzt schon seit Herbst 2015 auf eine schnelle Bearbeitung der Verfahren.

"Wer bei uns als Asylbewerber keine Anerkennung gefunden hat, hat in Deutschland keine Zukunft. Den Weg konsequenter wöchentlicher Rückführungen werden wir weiter beschreiten. Das ist in der Situation, in der wir uns aktuell befinden, dringlicher denn je."

Joachim Herrmann, Bayerischer Innenminister

Geht es um Asylbewerber aus sogenannten "sicheren Herkunftsländern" dann scheinen Zahlen und Schnelligkeit im Vordergrund zu stehen – und nicht die Menschen. Aber Frauen wie Donika und Jonida aus dem Kosovo sind nun mal keine Fälle, die in ein vorgegebenes Schema passen. Und genau hier geraten die Schnellverfahren des BAMF offenbar an ihre rechtsstaatlichen Grenzen.


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