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Hans-Jochen Vogel Vollblutpolitiker auch noch mit 90 Jahren

Er war Justizminister zu Zeiten des RAF-Terrors, begleitete die Särge der ermordeten israelischen Sportler im September 1972 nach Hause. Er war Bürgermeister von München und Berlin, Partei- und Fraktionsvorsitzender, schließlich Kanzlerkandidat der SPD. Diese Partei hat das Leben von Hans-Jochen Vogel geprägt, so wie er die Partei. Mit klarer Haltung, Akribie, moralischem Anspruch und Pünktlichkeit - für ihn eine hohe Tugend.

Von: Claudia Schweikl

Stand: 04.02.2016 | Archiv

Hans Jochen Vogel | Bild: picture-alliance/dpa

Erste Kontakte zur SPD knüpfte Vogel bereits während seines Studiums in Marburg. 1950 wurde er Mitglied der Partei. Im Mai 1958 berief ihn der Stadtrat von München zum Rechtsreferenten. Auch in dieser Stellung gehörte die Sichtung des Stadtrechts zu seinen Aufgaben. Nach Ablauf der dritten Amtsperiode von Oberbürgermeister Thomas Wimmer nominierte die SPD Vogel als Kandidaten. Am 27. März 1960 wurde er mit 64,3 Prozent der Stimmen zum jüngsten Oberbürgermeister einer europäischen Millionenstadt gewählt.

Visionär für München

OB Hans-Jochen Vogel bei der Eröffnung der Britischen Woche in München im Juni 1963 im Alten Rathaus

Als Oberbürgermeister (1960 - Juni 1972) gewann Vogel schnell Profil und Popularität. Bei seiner Wiederwahl im März 1966 wurde er mit knapp 78 Prozent im Amt bestätigt. Vogel trug maßgeblich dazu bei, dass München 1966 als Gastgeber für die Olympischen Sommerspiele 1972 ausgewählt wurde.  Auf eine Kandidatur für eine dritte Amtsperiode ab 1972 verzichtete er, nicht zuletzt wegen Querelen mit dem linken Flügel der Münchner SPD. Die Olympischen Sommerspiele in München wurden bereits von seinem Parteikollegen Georg Kronawitter als Oberbürgermeister eröffnet.

SPD-Politiker Erhard Eppler: Hans-Jochen Vogel ist ein Vorbild

Erhard Eppler

Der SPD-Politiker Erhard Eppler hat anlässlich Vogels 90. Geburtstag an dessen Verdienste um die deutsche Politik erinnert. Im Bayerischen Rundfunk sagte Eppler in der radioWelt am Morgen, Vogel sei für viele seiner Generation "so etwas wie ein Vorbild". Es sei ein Politiker, der andere daran erinnert, was eigentlich nötig wäre.

Über Vogels stetigen Einsatz gegen Rechtsextremismus sagte er: "Das hängt mit seiner Geschichte zusammen, ich hätte beinahe gesagt mit unserer Geschichte. Wir haben als ganz junge Soldaten den Zusammenbruch, die Kapitulation, das Ende des NS-Reichs mitgemacht und haben daraus unsere Schlüsse gezogen. Und das gilt, solange wir leben." Er habe nie den Eindruck gehabt, dass Hans-Jochen Vogel oberlehrerhaft sei. " Eppler wünschte seinem Weggefährten zum 90. Geburtstag, "dass seine Leistung als Politiker, auch als Vorbild für andere Politiker wie zum Beispiel für mich, (…) auch gewürdigt wird."

Das Olympia-Attentat 1972

Der BGS-Hubschrauber, zerstört beim Befreiungsversuch der israelischen Olympia-Geiseln auf Militärflughafen Fürstenfeldbruck

In seinem Buch "Die Amtskette" hat Vogel unter anderem den Terroranschlag auf die Sommerspiele am 5. September 1972 verarbeitet. Noch viele Jahre später bekannte er in einem Interview, die Geschehnisse dieser Tage stünden ihm noch immer deutlich vor Augen. Als deutscher Vertreter begleitete Vogel die Särge der getöteten Athleten, Trainer und Betreuer nach Tel Aviv und nahm an der Trauerfeier für die Opfer teil.

"Vor allem auch der Widerspruch zwischen einer frühen Nachricht aus Fürstenfeldbruck, alle elf israelischen Geiseln seien gerettet, und dem späteren wahrheitsgemäßen Bericht, dass alle ihr Leben verloren haben. Das war einer der bewegendsten Momente in meinem Leben."

Hans-Jochen Vogel über den Ausgang des Olympia-Attentats

Der Weg in die Bundespolitik

Mächtiges Trio: Justizminister Vogel, Bundeskanzler Schmidt und SPD-Fraktionschef Wehner (mit Pfeife)

Einen Monat vor seiner Amtsübergabe an Georg Kronawitter, im Mai 1972, war Vogel zum neuen Vorsitzenden der Bayern-SPD gekürt worden. Den Vorsitz hatte er bis 1977 inne. Im August 1972 wurde er zunächst Mitglied des SPD-Bundespartei-Präsidiums, bei der Bundestagswahl im November `72 als Spitzenkandidat der SPD in Bayern in den Bundestag gewählt. Kurz danach ernannte ihn Bundeskanzler Willy Brandt zum Leiter des um die Zuständigkeit für Raumordnung erweiterten Bundesministeriums für Raumordnung, Städtebau und Bauwesen. Nach dem Rücktritt Brandts vom Kanzleramt im Mai 1974 übernahm Vogel im Kabinett von Helmut Schmidt das Justizressort. Seine Loyalität zu Kanzler und Partei machten ihn bald zu einem der wichtigsten Männer im Koalitionskabinett.

Von Bonn nach Berlin ...

Hans-Jochen Vogel bei seiner Regierungserklärung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus 1981

Im Januar 1981 schied Vogel aus der Bundesregierung aus, um als Nothelfer in die Berliner Regierungskrise einzugreifen. Er ersetzte den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Dietrich Stobbe, der infolge einer Affäre zurückgetreten war. Nur fünf Monate später, im Juni 1981, musste Vogel das Amt schon wieder an Richard von Weizsäcker (CDU) abgeben, nachdem die SPD die Abgeordnetenhauswahl verloren hatte. Vogel ist damit bis heute ist der einzige deutsche Politiker, der während seiner Laufbahn in zwei Millionenstädten Stadtoberhaupt war.

... und wieder zurück

Hans-Jochen Vogel und Helmut Schmidt

Nach zwei Jahren im Berliner Abgeordnetenhaus als SPD-Fraktionschef zog Vogel 1983 wieder in den Bundestag ein. Nach dem Zerfall der sozial-liberalen Koalition durch den Rücktritt von Bundeskanzler Schmidt war Vogel bei den angesetzten Neuwahlen als SPD-Kanzlerkandidat angetreten. Er unterlag jedoch Helmut Kohl (CDU). Nach Brandts Rücktritt vom Parteivorsitz 1987 übernahm Vogel auch dieses Amt, das für ihn 1989 mit dem besonderen Höhepunkt der Verabschiedung des "Berliner Programms" als neuem Grundsatzprogramm der SPD 30 Jahre nach Godesberg gekrönt war. 

Rückzug und elder statesman

Im Mai 1991 gab er zuerst den Parteivorsitz an Björn Engholm ab, im selben Jahr den Fraktionsvorsitz an Hans-Ulrich Klose. Danach engagierte sich Vogel bis zu seinem Ausscheiden aus dem Parlament 1994 primär in der Verfassungskommission. "Gegen das Vergessen, für Demokratie" ist nicht nur der Name der Vereinigung, die er wegen des zunehmenden Rechtsradikalismus ins Leben gerufen hat, sondern treffende Kennzeichnung für sein politisches Leben.

Gefragt - auch im Ruhestand

Hans-Jochen Vogel im Gang der Seniorenresidenz, in der er und seine Frau wohnen

Vogels 90. Geburtstag am 3. Februar war gleichzeitig auch das zehnte Jubiläum an seinem "neuen" Wohnort. Zusammen mit seiner zweiten Frau Liselotte lebt er in einer Seniorenresidenz im Münchner Norden. Der Vollblut-Politiker leidet an Parkinson und geht offen mit der unheilbaren Nervenkrankheit um. Anderen Betroffenen Mut machen, das ist auch im hohen Alter noch Vogels großer Anspruch - und zugleich Antrieb. Schließlich zeigt Vogel mit seinen 90 Jahren und trotz seiner Erkrankung,"dass man auch in diesem Zustand noch geraume Zeit ein selbstbestimmtes Leben führen kann".

Die ersten Schritte

Hans-Jochen Vogel wurde am 3. Februar 1926 in Göttingen geboren. Sein Vater Herrmann, ein gebürtiger Münchner, war Privatdozent an der dortigen Universität, später Professor an der Universität Gießen. Vogel besuchte erst das Max-Planck-Gymnasium in Göttingen, ab 1935 in Gießen das Landgraf-Ludwig-Gymnasium, wo er 1943 Abitur machte. Im Sommersemester 1943 begann er ein Studium der Rechtswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Juli 1943 meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht. Vogel nahm bis zur Kapitulation im Mai 1945, zuletzt als Unteroffizier, am Zweiten Weltkrieg teil.

Im Februar 1952 begann Vogel als Assessor im Bayerischen Justizministerium. Zwei Jahre später, mit 28, war er Amtsgerichtsrat in Traunstein. Nur drei Jahre später, 1955, wurde der in die Bayerische Staatskanzlei abgeordnet und Leiter des Arbeitskreises für die Sammlung des Bayerischen Landesrechts. Dabei durchforstete er das Bayerische Landesrecht, worauf der Landtag die noch gültigen Gesetze und Verordnungen übersichtlich neu publizierte.


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