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40 Jahre Buback-Mord Die dubiose Rolle der Verena Becker

Am 7. April 1977 wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback von der linksextremen Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) ermordet. Auch 40 Jahre danach sind die bohrendsten Fragen immer noch unbeantwortet. Seltsam. Hat etwa der Staat daran Interesse? Wegen der Rolle der Ex-Terroristin Verena Becker als Informantin des Verfassungsschutzes?

Von: Ernst Eisenbichler

Stand: 05.04.2017 | Archiv

Die ehemalige Terroristin Verena Becker auf einem undatierten Fahndungsfoto, das in den 1970er Jahren verbreitet wurde, und Generalbundesanwalt Siegfried Buback im September 1976 in Bonn.  | Bild: picture-alliance/dpa

Es ist der Gründonnerstag 1977, als an einer roten Ampel der Karlsruher Kreuzung Linkenheimer Landstraße und Moltkestraße eine Suzuki GS 750 neben einem Mercedes hält. Auf dem Motorrad sitzen zwei Personen mit Helmen, eine von ihnen feuert aus einem abgesägten Gewehr der Marke Heckler&Koch 43 viele Schüsse auf den Wagen ab. In dem Dienstauto sitzen Buback und zwei Begleiter. Alle drei sterben. Die beiden Personen auf dem Motorrad flüchten und stellen die Suzuki unter einer Autobahnbrücke ab, laufen anschließend über einen Bach und steigen in ein Alfa-Romeo-Fluchtfahrzeug, in dem ein dritter Komplize wartet. Ermittler stellen später fest, dass im Werkzeugset des Motorrads ein Schraubendreher fehlt. Am Bach entdecken sie einen Schuhabdruck der Größe 40.

Die RAF bekennt sich zu der Mordaktion. Die Terroristen selbst nennen sie "Operation Margarine" - in Anlehnung an die damals handelsübliche Marke "S.B.", die mit den Initialen von Siegfried Buback übereinstimmt. Der Generalbundesanwalt ist zu der Zeit Feind Nummer eins der RAF: Er repräsentiert nicht nur den verhassten Staat, sondern hat auch die Anklageschrift für die inhaftierten Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe unterschrieben.

Wer schoss? Bis heute nicht bekannt

Bis heute geht die Bundesanwaltschaft davon aus, dass die RAF-Mitglieder Günter Sonnenberg, Christian Klar und Knut Folkerts die Tat verübt hätten. Aber welche beiden Personen saßen auf dem Motorrad? Und wer hat geschossen? Alles nicht beantwortet. Zumindest so viel soll klar sein: Sonnenberg mietete die Suzuki und fuhr sie.

Singen: Auftritt Becker

Knapp einen Monat nach dem Karlsruher Attentat: Aufruhr in Singen. Am 3. Mai 1977 geraten in der Kleinstadt nahe des Bodensees Sonnenberg und Verena Becker, ebenfalls RAF-Mitglied, in eine Personenkontrolle. Um sich der Festnahme zu entziehen, schießen beide auf Polizisten und verletzen sie dabei. Auf der Flucht wird Sonnenberg im Hinterkopf getroffen, Becker im Unterschenkel. Bei ihr findet man die HK 43, die Karlsruher Mordwaffe. Außerdem stellen die Ermittler einen Suzuki-Schraubendreher sicher. Becker trägt Sportschuhe der Größe 40. Ende 1977 wird ihr der Prozess gemacht. Wegen Mordversuchs bekommt sie lebenslang.

Buback-Mord: mutmaßlich Beteiligte der RAF

V. Becker

Verena Becker wird 1952 in West-Berlin geboren. Mit 19 schließt sie sich der linksextremistischen Terrorvereinigung "Bewegung 2. Juni" an. Wegen Beteiligung an einem Bombenanschlag erhält sie 1974 eine Haftstrafe von sechs Jahren. Durch die Entführung des Berliner CDU-Chefs Peter Lorenz wird sie 1975 zusammen mit vier weiteren Terroristen von der "Bewegung 2. Juni" freigepresst. Später schließt sich Becker der RAF an. 1977 wird sie wegen Mordversuchs zu lebenslang verurteilt, 1989 aber begnadigt. 2012 bekommt sie wegen Beihilfe zum Buback-Mord vier Jahre Gefängnis.

K. Folkerts

Knut Folkerts wird 1952 in Singen geboren. Im September 1977 gibt er einen in Zusammenhang mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer gemieteten niederländischen Pkw bei einem Autoverleih in Utrecht zurück. Dabei erschießt er einen Polizisten. Dafür wird Folkerts in Utrecht zu 20 Jahren Haft verurteilt, etwa ein Jahr der Strafe verbüßt er in den Niederlanden. Nach der Auslieferung an die Bundesrepublik wird ihm in Stuttgart der Prozess gemacht. Unter anderem wegen der Buback-Ermordung wird er zu zweimal lebenslang verurteilt. 1995 wird er vorzeitig entlassen.

C. Klar

Christian Klar wird 1952 in Freiburg im Breisgau geboren. Er gilt als eine der wichtigsten Figuren der zweiten RAF-Generation und ist an den meisten Anschlägen und Überfällen zwischen 1977 und 1982, dem Jahr seiner Verhaftung, beteiligt. Das Oberlandesgericht Stuttgart wirft ihm unter anderem Mittäterschaft bei den Morden an Buback, Jürgen Ponto und Schleyer vor. 1985 wird Klar zu fünfmal lebenslang verurteilt, was ein Jahr später aufgrund veränderter Rechtslage auf einmal lebenslang umgewandelt wird. 2008 wird er auf Bewährung entlassen.

B. Mohnhaupt

Brigitte Mohnhaupt wird 1949 in Rheinsberg geboren. 1971 schließt sie sich der RAF an. 1972 kommt sie zum ersten Mal ins Gefängnis, wo sie intensiven Kontakt mit Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe hat. Nach deren Tod im Herbst 1977 wird Mohnhaupt, die einige Monate zuvor entlassen wurde, zum Kopf der zweiten RAF-Generation. 1982 wird sie verhaftet. 1985 wird sie unter anderem wegen Beteiligung an neun Morden des Jahres 1977 schuldig gesprochen. Ihr Urteil fällt so aus wie das von Klar.

G. Sonnenberg

Günter Sonnenberg wird 1954 in Karlsruhe geboren. Anfang der 1970er-Jahre schließt er sich der RAF an. 1977 gerät er in Singen gemeinsam mit Verena Becker in eine Personenkontrolle. Um sich der Festnahme zu entziehen, schießt er auf zwei Polizisten. Beide werden verletzt, einer von ihnen lebensgefährlich. Sonnenberg und Becker kapern anschließend ein vorbeifahrendes Auto und fliehen. Polizeibeamte nehmen die Verfolgung auf. Bei einem Schusswechsel wird Sonnenberg im Hinterkopf getroffen. Er liegt daraufhin vier Wochen im Koma. 1978 wird er zu zweimal lebenslang verurteilt, 1992 auf Bewährung entlassen. Er gilt als Fahrer des Motorrads beim Buback-Mord.

S. Wisniewski (?)

Stefan Wisniewski wird 1953 in Klosterreichenbach bei Freudenstadt geboren. 1975 schließt er sich der RAF an. 1977 beteiligt er sich an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. 1978 wird er in Frankreich festgenommen und an die Bundesrepublik ausgeliefert. Im anschließenden Prozess bekommt er 1981 zweimal lebenslang. 1999 wird er auf Bewährung entlassen. 2007 wird bekannt, dass ihn Verena Becker 1981 - damals Informantin des Verfassungsschutzes - als Todesschützen beim Buback-Mord nannte. Dafür liegen allerdings keinerlei Beweise vor.

Zurück zum Buback-Mord: In den 1980er-Jahren scheint für die Behörden der Fall gelöst. Folkerts wird 1980 als Mittäter verurteilt. 1985 bekommen Klar und Brigitte Mohnhaupt lebenslange Haftstrafen. Für die Richter ist Mohnhaupt, die als Kopf der sogenannten zweiten RAF-Generation gilt, die Organisatorin des Karlsruher Attentats. Sonnenberg wird im Fall Buback aus gesundheitlichen Gründen nicht angeklagt. Zwar ermittelte man auch gegen Becker in diesem Fall, doch das Verfahren wurde im März 1980 eingestellt.

2007 - die unglaubliche Wende

Mohnhaupt Rädelsführerin, Klar und Folkerts unmittelbar Tatbeteiligte - Fall klar? Mitnichten - auch wenn es mehr als 20 Jahre dauert, bis wieder Bewegung hineinkommt. Mit einem Paukenschlag: Im April 2007 wird bekannt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 1981 eine Informantin aus den Reihen der RAF hatte: Verena Becker. Sie brachte damals einen neuen Namen ins Spiel: Stefan Wisniewski. Er soll in Karlsruhe die tödlichen Schüsse abgegeben haben. Beweise dafür gibt es allerdings nicht. 2007 findet man mittels moderner DNS-Analysen Speichelspuren von Becker an RAF-Bekennerbriefen zum Buback-Mord. Plötzlich ist sie wieder tatverdächtig.

2010 beginnt in Stuttgart-Stammheim ein neuer Prozess gegen Becker, die 1989 vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker begnadigt wurde. Angeklagt ist sie wegen Beteiligung am Buback-Mord, so soll sie den Ort des geplanten Attentats ausgespäht haben. Becker bestreitet im Prozess jede Beteiligung am Anschlag, sie sei zu jener Zeit im Jemen gewesen und schweigt ansonsten. Dennoch: 2012 wird sie wegen Beihilfe zum Mord zu vier Jahren Haft verurteilt. Zuvor hatte die Bundesanwaltschaft erklärt, Becker sei auf keinen Fall die Todesschützin gewesen.

Karlsruhe: Augenzeugen berichten von einer Frau

Auf keinen Fall die Todesschützin? Mehrere Augenzeugen wollen jedoch am 7. April 1977 in Karlsruhe eine zierliche Frau auf der Suzuki gesehen haben.

"Die, die hinten drauf saß, hat mit ihrer Knarre in Richtung mir gezeigt."

Augenzeuge Michael Wocke gegenüber 'Kontrovers'

Während des Becker-Prozesses von 2010 bis 2012 stellte sich heraus, dass nach dem Buback-Mord wichtige Spuren nicht untersucht wurden. So glich niemand den Fußabdruck mit Beckers Sportschuhen ab. Die Angeklagte wurde auch nicht Zeugen wie Michael Wocke gegenübergestellt. Zudem verschwand das Alfa-Romeo-Fluchtfahrzeug.

Einer, der der offiziellen Version wenig Glauben schenkt, ist Michael Buback. Der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts sagt, ein Informant habe sich 2007 bei ihm gemeldet:

"Wir wurden von einem Terroristen darauf hingewiesen, dass die Aufklärung nicht in Ordnung ist, dass man die Täter nicht hat."

Michael Buback gegenüber 'Kontrovers'

Dem Informanten zufolge sei weder Klar noch Folkerts oder Sonnenberg der Schütze gewesen. Was Buback zudem befremdet: Die Informationen, die Becker 1981 gegeben hatte, habe der VfS für Ermittlungs- und Strafverfahren sperren lassen - also auch für die Prozesse gegen Klar und Mohnhaupt.

Becker schon vor 1981 V-Frau?

Es gibt Hinweise, dass Becker schon vor 1981 für den VfS gearbeitet haben soll. Hinweise, keine Beweise. Doch das genügte, dass bereits wilde Spekulationen ins Kraut schossen. Was, wenn sie schon vor 1977 Informantin gewesen wäre? Dann wären möglicherweise die Behörden Mitwisser des geplanten Buback-Mordes gewesen. Was, wenn sie tatsächlich die Todesschützin gewesen und trotzdem vom Staat geschützt worden wäre? Alles eigentlich unvorstellbar. Manche glauben es dennoch, andere verbannen es ins Reich der Verschwörungstheorie. Aufschluss geben könnte wohl die Akte Becker des VfS - doch die ist nach wie vor gesperrt.


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