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Beitrag der Gastarbeiter "Ohne Ausländer wäre BMW lahmgelegt"

Nicht nur Döner - Autoherstellung, U-Bahnbau, Münchner Olympiazentrum: Der Beitrag der ausländischen Arbeitnehmer dazu war wesentlich. Doch gewürdigt wurde ihre Leistung lange Zeit nicht.

Stand: 26.10.2011 | Archiv

Türkischstämmige Arbeiter bei BMW | Bild: SZ Photo / Andreas Heddergott

Wie in praktisch allen Lebensbereichen wurden Gastarbeiter auch in ihren Betrieben immer wieder damit konfrontiert, dass sie in der deutschen Gesellschaft als Bürger zweiter Klasse betrachtet wurden. Zwar konnten engagierte ausländische Arbeitnehmer durchaus aufsteigen, doch bei gleicher Leistung wurden in der Regel Deutsche bevorzugt. Es kam auch vor, dass von einem Kandidaten verlangt wurde, den Schnauzer zu rasieren und den türkischen Namen abzulegen - sonst keine Beförderung.

Bluthusten und radioaktive Strahlung

Zudem wurden Gastarbeitern häufig Tätigkeiten zugewiesen, die von Schmutz, Monotonie, starker körperlicher Belastung und sogar Gesundheitsschädlichkeit geprägt waren. Es gibt Berichte von Angestellten eines Münchner Betriebs für Reifenfertigung, die stundenlang Dämpfe einatmeten und nach wenigen Monaten Blut husteten.

Türkischer Lehrling, 1973 | Bild: Bayerischer Rundfunk zum Video Schichtdienst in Deggendorf Der Alltag von türkischen Gastarbeitern

Über den Alltag türkischer Gastarbeiter in der bayerischen Provinz und über den Zusammenhang von Sprachkenntnissen und Lohn - vorgetragen in der Reportersprache von 1974 (Bayerisches Fernsehen, "Unser Land", 18. 3. 1974, 7:10 min) [mehr]

Besonders krass sind die Schilderungen aus dem berühmten Buch "Ganz unten" von Günter Wallraff, der Anfang der 1980er-Jahre - verkleidet als Türke "Ali" - in verschiedenen Betrieben arbeitete. Der Enthüllungsjournalist berichtete darin nicht nur von Schikanen durch deutsche Kollegen, sondern auch von fehlenden Sicherheitsmaßnahmen für ausländische Arbeiter. So sei ihnen zum Teil Schutzkleidung vorenthalten worden oder sie seien in Atomkraftwerken gefährlich hohen Strahlendosen ausgesetzt gewesen.

Olympiazentrum und U-Bahn schneller fertig

Münchner U-Bahn

Dabei wäre das deutsche "Wirtschaftswunder" ohne den Beitrag der angeworbenen Kräfte kaum denkbar gewesen. Formuliert wurde dies zum Beispiel in der "Problemstudie" der Stadt München von 1972. Darin steht klipp und klar, dass das Wirtschaftswachstum der 1960er- und frühen 1970er-Jahre nur durch die Leistung der Gastarbeiter habe erreicht werden können. Olympiazentrum oder U-Bahn hätten ohne Mithilfe der Ausländer nicht so schnell gebaut werden können. 1981 sagte der BMW-Betriebsratsvorsitzende, die Automobilproduktion sei ohne "Senos, Cetiner, Dasikan und ihre Kollegen - rund 4.000 Türken, 1.500 Griechen, 1.400 Jugoslawen und Arbeitern aus weiteren 46 Nationen - lahmgelegt".

Siemens-Betriebsfeier

In der Dokumentation "Zur Geschichte der Gastarbeiter in München" heißt es: "Da die Erwerbstätigkeit der Ausländer mit 70 Prozent weit über der deutschen Bevölkerung (50 Prozent) lag, war ihr Beitrag zum Sozialprodukt größer als der einer gleich großen Anzahl Deutscher: Für München errechnete man für das Jahr 1970, dass ein deutscher Einwohner statistisch 14.000 DM jährlich zum Sozialprodukt beitrug, ein Ausländer aber etwa 21.000 DM." Da zu jenem Zeitpunkt viele Gastarbeiter nicht mehr die Rückkehr in ihr Herkunftsland planten, ging das ursprüngliche deutsche Kalkül aus der Zeit der Anwerbeabkommen nicht mehr auf: Demnach sollten die Angeworbenen zwar in die deutsche Rentenversicherung einzahlen, wegen der vermeintlichen baldigen Rückkehr würden sie sie aber nicht in Anspruch nehmen und so zur Stabilisierung der deutschen Sozialkassen beitragen.

"Die Leistung der Gastarbeiter für den Aufbau der Stadt wird viel zu wenig gewürdigt"

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im Juni 2011 anlässlich eines Festaktes zu 50 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen


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