Franken - Zeitgeschichte


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Nazis vor Gericht Die Angeklagten, die Urteile

Vier Hauptanklagepunkte, 281 Verhandlungstage und 236 Zeugen – es ist wohl die spektakulärste Verhandlung der Nachkriegszeit: Bei den Nürnberger Prozessen standen 24 Nazi-Größen vor Gericht, zwölf wurden zum Tode verurteilt.

Stand: 18.11.2020 | Archiv

Die Originalschrift der Urteile der Nürnberger Prozesse | Bild: picture-alliance/dpa

Die angeklagten Nazi-Größen wurden mit vier Hauptvorwürfen konfrontiert. Auf der Liste ganz oben stand "Verschwörung gegen den Weltfrieden". Außerdem: "Planung, Entfesselung und Durchführung eines Angriffskrieges", "Verbrechen und Verstöße gegen das Kriegsrecht" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". An 218 Verhandlungstagen wurden 236 Zeugen gehört, rund 300.000 eidesstattliche Erklärungen und 5.330 Dokumente wurden zu den Akten genommen. Nach elf Monaten sprachen die Richter die Urteile.

Urteile des Internationalen Militärtribunals

Bereich: nationalsozialistische Führung

Hermann Göring
Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der Luftwaffe

Urteil: Tod durch den Strang

Selbstmord am Vorabend der Hinrichtung

Bereich: nationalsozialistische Führung

Rudolf Heß
Stellvertreter Hitlers

Urteil: Lebenslänglich

1987 Selbstmord im Gefängnis Berlin-Spandau

Bereich: nationalsozialistische Führung

Martin Bormann
engster Mitarbeiter Hitlers im "Führerhauptquartier"

Urteil in Abwesenheit: Todesurteil

Bei Kriegsende verschwunden

Bereich: nationalsozialistische Führung

Joachim von Ribbentrop
ab 1938 Außenminister

Urteil: Tod durch den Strang

Bereich: nationalsozialistische Führung

Robert Ley
Leiter der "Deutschen Arbeitsfront"

Selbstmord vor Prozessbeginn im Gefängnis

Bereich: nationalsozialistische Führung

Franz von Papen
Vizekanzler im ersten Kabinett Hitlers 1933, später Botschafter in Wien und Ankara

Urteil: Freispruch, später zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt

1949 entlassen, 1969 gestorben

Bereich: Oberkommando der Wehrmacht

Wilhelm Keitel
Chef des Oberkommandos der Wehrmacht

Urteil: Tod durch den Strang

Bereich: Oberkommando der Wehrmacht

Alfred Jodl
Chef des Wehrmachtführungsamtes

Urteil: Tod durch den Strang

Bereich: Kriegsmarine

Erich Raeder
bis 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine

Urteil: Lebenslange Haft

1955 wegen Krankheit entlassen
1960 gestorben

Bereich: Kriegsmarine

Karl Dönitz
Chef der U-Boot-Flotte, von 1943 an Oberbefehlshaber der Kriegsmarine

Urteil: zehn Jahre Haft

1956 entlassen
1980 gestorben

Bereich: nationalsozialistische Propagandamaschinerie

Julius Streicher
Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer", Gauleiter von Franken

Urteil: Tod durch den Strang

Bereich: nationalsozialistische Propagandamaschinerie

Hans Fritzsche
Chef des Nachrichtenwesens im Propagandaministerium

Urteil: Freispruch, später zu neun Jahren Arbeitslager verurteilt

1950 entlassen
1953 gestorben

Bereich: nationalsozialistische Propagandamaschinerie

Baldur von Schirach
Reichsjugendführer und Gauleiter von Wien

Urteil: 20 Jahre Haft

1966 entlassen
1974 gestorben

Bereich: Kriegswirtschaft

Albert Speer
Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion

Urteil: 20 Jahre Haft

1966 entlassen
1981 gestorben

Bereich: Kriegswirtschaft

Fritz Sauckel
Generalbevollmächtigter für Arbeitseinsatz und fünf Millionen Zwangsarbeiter

Urteil: Tod durch den Strang

Bereich: Kriegswirtschaft

Hjalmar Schacht
bis 1937 Wirtschaftsminister, bis 1939 Reichsbankpräsident (Amtsenthebung).
Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler kommt er 1944/45 ins KZ Flossenbürg.

Urteil: Freispruch

Gestorben 1970

Bereich: Kriegswirtschaft

Walter Funk
Reichswirtschaftsminister ab 1937

Urteil: Lebenslange Haft

1957 wegen Krankheit entlassen
1960 gestorben

Bereich: Kriegswirtschaft

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach
angeklagt als Repräsentant der Rüstungsindustrie

Verfahren eingestellt wegen Verhandlungsunfähigkeit

1950 gestorben

Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)

Hans Frank
Generalgouverneur in Polen

Urteil: Tod durch den Strang

Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)

Arthur Seyß-Inquart
Statthalter in den besetzten Niederlanden

Urteil: Tod durch den Strang

Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)

Alfred Rosenberg
führender Partei-Ideologe und Minister für die besetzten Ostgebiete

Urteil: Tod durch den Strang

Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)

Konstantin von Neurath
1938 Außenminister, 1939 bis 1943 Reichsprotektor von Böhmen und Mähren

Urteil: 15 Jahre Haft

1954 wegen Krankheit entlassen
1956 gestorben

Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)

Wilhelm Frick
Reichsinnenminister und Reichsprotektor in Böhmen und Mähren

Urteil: Tod durch den Strang

Bereich: Reichssicherheitshauptamt (RSHA)

Ernst Kaltenbrunner
Chef der Sicherheitspolizei und des Reichssicherheitshauptamtes

Urteil: Tod durch den Strang

Abgetaucht und Suizid

Begingen Selbstmord: Bormann (m) und Hitler

Martin Bormann, "Sekretär des Führers", tauchte nach Kriegsende unter. Seine Leiche wurde 1973 in Berlin entdeckt und mittels DNA-Analyse identifiziert. Er hatte sich wohl selbst umgebracht. Auch Robert Ley, Leiter der "Deutschen Arbeitsfront", nahm sich noch vor Prozessbeginn das Leben. Hermann Göring, "Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches" (dieser Titel war eigens für ihn geschafffen worden), entzog sich seiner Hinrichtung durch Selbstmord in der Zelle. Gegen den Großindustriellen Gustav Krupp konnte wegen Krankheit nicht verhandelt werden.

Ziel: differenzierte Feststellung der Schuld

Akten des Internationalen Militärgerichtshofes Nürnberg

Vor allem der Wunsch der Amerikaner nach einer differenzierten Feststellung der Schuld der Angeklagten bedeutete für das international besetzte Tribunal nervenaufreibende Fleißarbeit. Mehr als tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Nürnberger Justizgebäude kümmerten sich um den Ablauf. Während des Prozesses übersetzten jeweils zwölf Dolmetscher simultan in die Sprachen Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch. Unzählige Menschen waren mit der Prozessdokumentation beschäftigt. Schließlich baute der Organisator des Prozesses, der US-Bundesrichter Robert H. Jackson, in Nürnberg eine eigene Behörde auf – der Justizpalast mit seinen 530 Büros und rund 80 Sälen bot ausreichend Platz.

Der Nürnberger Justizpalast am 23. September 1946

Auch die Sicherheitsmaßnahmen waren außergewöhnlich. Aus Angst vor Racheaktionen von Nazi-Widerstandsgruppen war die Gegend um den Justizpalast weiträumig abgeriegelt, überall standen Panzer. Die Straßenbahn zwischen Nürnberg und Fürth durfte vor dem Justizpalast nicht halten. Zu den Prozessen waren nur ausgesuchte Berichterstattende und Zuschauer zugelassen.


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