Franken - Zeitgeschichte


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Symbol für den Frieden 20 Jahre Straße der Menschenrechte

Sie soll am einstigen Versammlungsort der Nazis ein Symbol sein für den "Sieg über den Nazismus": die Straße der Menschenrechte in Nürnberg. Am 24. Oktober jährte sich die Eröffnung des riesigen Kunstwerks zum 20. Mal.

Von: Rainer Aul und Franz Engeser

Stand: 25.10.2013 | Archiv

Die Straße der Menschenrechte bei Nacht | Bild: picture-alliance/dpa

"Dieses Kunstwerk hat nichts mit dem Holocaust zu tun", sagt der kleine Mann mit der Lederkappe vor der Kamera. Er steht am 24. Oktober 1993 in der verregneten Nürnberger Altstadt. Hinter ihm sind zahlreiche weiße Säulen zu erkennen. "Es hat mit den Menschenrechten und den Nürnberger Rassegesetzen zu tun. Es ist sozusagen eine Antwort auf die Gesetze, die Hitler der Stadt Nürnberg auferlegte."

Der Schöpfer der Straße der Menschrenrechte, Bildhauer Dani Karavan, im Jahr 1993

Der kleine Mann ist der Bildhauer Dani Karavan aus Israel. Er hat im Holocaust viele Verwandte verloren, seine Großmutter wurde im polnischen Lemberg von Nazis erschossen. Er eröffnet an diesem Tag die Straße der Menschenrechte, ein über hundert Meter langes Kunstwerk, das an die Einhaltung der Menschenrechte in aller Welt erinnern soll. Und das ausgerechnet in Nürnberg, der Stadt der nationalsozialistischen Reichsparteitage und "Rassengesetze". Gerade dieser Ort sei aber wichtig, sagt Karavan in seiner bewegenden Rede vor dem Kunstwerk in der Kartäusergasse, neben dem Germanischen Nationalmuseum.

"Ich frage mich: Zeigt nicht die Tatsache, dass dieses Werk sich nahe dem Ort der Reichsparteitage befindet, den Sieg des Menschen über den Nazismus?"

Dani Karavan

Ein Kunstwerk fürs Museum

Anlass für die Entstehung der Straße der Menschenrechte war der Umbau des Germanischen Nationalmuseums Ende der 1980er-Jahre. Im Rahmen der umfangreichen Baumaßnahmen sollte das Museum weitere Ausstellungsräume und einen neuen Eingangsbereich an der Karthäusergasse erhalten. Aus der schmalen Straße am ehemaligen Kloster sollte die Passage durch das größte kunsthistorische Museum im deutschen Sprachraum werden. Eine neue Qualität, die durch ein Kunstwerk gewürdigt werden sollte.

27 Betonsäulen säumen die Straße der Menschenrechte

Eine Jury wählte 1988 aus vier eingegangenen Wettbewerbsvorschlägen den von Dani Karavan aus. Sein Vorschlag sieht am Eingang der Kartäusergasse aus Richtung der Altstadt ein dreibogiges Betontor vor, sozusagen ein reduziertes Spiegelbild des Kartäusertors am anderen Ende der Passage, in exakter Proportion und Größe des Vorbilds. Acht Meter hohe Säulen sollen in der Gasse stehen, versehen mit den 30 Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Pro Säule ist ein verkürzter Artikel vorgesehen, jeweils in Deutsch und einer anderen Sprache. Die schlichte Gestaltung und zurückhaltende weiße Betonstruktur sollen eine kontemplative Ruhe ausstrahlen. Der Betrachter ist aufgefordert, vor den Säulen innezuhalten und über die eingravierten Menschenrechtsartikel nachzudenken.

Die Inschriften entlang der Straße der Menschenrechte

Stichwort: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Die UN-Vollversammlung verabschiedet am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Die Menschenrechte sind ein direktes Produkt des Zweiten Weltkriegs. Entsetzt von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und den Gräueltaten des Nazi-Regimes verlangte die Welt in den 1940er-Jahren nach festgeschriebenen, fundamentalen Rechten aller Menschen. Daran erinnert die Präambel der Allgemeinen Erklärung:

"Da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen  [...] verkündet die Generalversammlung diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte." Absatz 2 der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Am 10. Dezember 1948, drei Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen, wird die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der Generalversammlung verabschiedet.

"Stadt des Friedens und der Menschenrechte"

Am 24. Oktober 1993 schließlich wird das Kunstwerk eingeweiht, mit 27 statt 30 Säulen, einem Baum und zwei Bodenplatten.

Es steht für den Beginn einer Entwicklung in der Stadt, davon zeigt sich Nürnbergs damaliger Oberbürgermeister Peter Schönlein (SPD) in seiner Ansprache während der Eröffnung überzeugt.

"Nürnberg hat sich in einen Prozess begeben, der weniger Zierde denn Auftrag ist. Das Ziel ist, dass von Nürnberg niemals mehr andere Signale ausgehen dürfen als solche des Friedens, der Versöhnung, der Verständigung und der Achtung der Menschenrechte."

Peter Schönlein (SPD), 1993 Oberbürgermeister von Nürnberg

In die Säulen sind die Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eingraviert.

Die Einweihungsfeier ist der Startpunkt für einen Imagewandel Nürnbergs weg vom schweren Erbe der Zeit des Nationalsozialismus hin zur "Stadt des Friedens und der Menschenrechte". Seit 1995 wird alle zwei Jahre der Internationale Nürnberger Menschenrechtspreis verliehen, das Menschenrechtszentrum und das Menschenrechtsbüro werden gegründet, ein internationales Filmfestival eingeführt. 2013 wird am Ende der Straße der Menschenrechte eine Gedenktafel für die Opfer der NSU-Terrorgruppe enthüllt.

Das neue Nürnberg: OB Ulrich Maly und die Gewinnerin des Menschenrechtspreises 2013, Kasha Jacqueline Nabagesera.

20 Jahre lang hat sich Nürnberg um ein neues Image bemüht und darum, sich der Verantwortung aus der Geschichte zu stellen. Sichtbares Zeichen dafür, sagt Martina Mittenhuber, die Leiterin des Nürnberger Menschenrechtsbüros, ist die Straße der Menschenrechte.

Stichwort: Dani Karavan

Der 1930 in Tel Aviv geborene Künstler ist bekannt für seine großformatigen, begehbaren Kunstwerke, die sich oft mit den Themen Menschenrechte, Freiheit und Unabhängigkeit beschäftigen. Zwischen 1963 und 1969 schuf er zum Beispiel in der Wüste Negev eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die Gefallenen des israelischen Unabhängigkeitskrieges. Von 1996 bis 2000 realisierte er den Weg des Friedens zwischen Israel und Ägypten. Im Herbst 2012 wurde in Berlin sein Mahnmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Roma und Sinti eingeweiht.

Aktionen zum Jubiläum

Zahlreichen Aktionen begleiten das 20-jährige Jubiläum der Straße der Menschenrechte. Führungen, Vorträge, Workshops für Schüler und eine Matinee drehen sich um das Thema "Menschenrechte". Ehemalige Initiatoren, der Künstler selbst und Fachleute kommen zu Wort und ein Fotowettbewerb regt an, sich mit dem Thema kreativ auseinanderzusetzen.

Ein Symbol der Hoffnung und des Friedens

Beim Festakt zum 20. Geburtstag der Straße der Menschenrechte am Donnerstag (24.10.13) sagte Dani Karavan, dass nach den 20 Jahren die Kraft seiner eigenen Kunst beginne, ihn zu überzeugen. Sie verändere das Ansehen dieser Stadt in der Öffentlichkeit.

"Von einer Stadt, auf der ein Fluch lastet, zu einer Stadt der Hoffnung."

Dani Karavan, Künstler

Der Leiter des Germanischen Nationalmuseums, Ulrich Grossmann, kritisierte in seiner Begrüßungsrede, dass sich Nürnberg in den 70er- und 80er-Jahren nicht für das NS-Regime verantwortlich gefühlt hatte. Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) sagte, die Säulenstraße von Dani Karavan sei vielleicht eines der wenigen Kunstwerke, das "längst auch zur Grundlage für das Handeln von Politik und Gesellschaft in unserer Stadt geworden ist". Die Straße der Menschenrechte sei das Symbol für die Selbstverpflichtung der Nürnberger, für Frieden und Menschenrechte einzutreten.


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