Franken

Endspurt bei Deutschlands größter Bahnbaustelle

ICE-Strecke Nürnberg-Berlin Endspurt bei Deutschlands größter Bahnbaustelle

Stand: 09.12.2017

Nach mehr als 25 Jahren Planung, Diskussionen, Baustop und dann wieder Weiterbau ist die größte Bahnbaustelle Deutschlands nun in der Endphase. Die Strecke ist offiziell eröffnet. Doch in Franken ist noch lange nicht alles fertig.

500 Kilometer ist das Bauprojekt zwischen Berlin und Nürnberg lang. 27 Tunnel und 37 Brücken wurden gebaut, insgesamt vier Millionen Tonnen Beton an der Trasse verbaut. Die Kosten des Projekts: zehn Milliarden Euro, so die Deutsche Bahn. Das Ziel: Der ICE soll auf der Strecke mit bis zu 300 Stundenkilometern fahren.

In vier Stunden nach Berlin

"Der ICE wird dann nur noch vier Stunden von München nach Berlin brauchen – das sind zwei Stunden weniger als bisher."

Bahnsprecher Frank Kniestedt.

Von Anfang an hat Bahnsprecher Frank Kniestedt das Projekt begleitet. Er hat die Baustopps miterlebt, musste auf den ersten Blick unsinnige Baumaßnahmen wie die "So-da-Brücke" bei Coburg rechtfertigen und bekam den Gegenwind der Bürger zu spüren.

Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8

Baustopp und Bauverzögerungen

Die Bauarbeiten wie hier an der Itztalbrücke kommen 2005 ins Stocken.

1991, ein Jahr nach der Wiedervereinigung, beschloss die Bundesregierung das Projekt mit dem sperrigen Namen "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8" – kurz VDE 8.

1996 war Baubeginn: Doch kurz nachdem das Projekt Fahrt aufgenommen hatte, wurde es wieder gestoppt. Die rot-grüne Bundesregierung sah 1999 die Gelder an anderer Stelle besser angelegt, trieb den Ausbau der Autobahnen A71 und A73 voran. Drei Jahre lang war es Still auf den Bahnbaustellen. Dann ging es wieder weiter.

Doch zwischen 2004 und 2006 stand die Regierung erneut auf der Bremse. Die Finanzierung des Großprojekts – lange unklar.

Eine Brücke steht einfach so da

Eine Folge: Der Rohbau der Itztalbrücke bei Coburg wurde zwar 2005 fertiggestellt. Doch für die Gleise war dann kein Geld mehr übrig. Eine 868 Meter lange Brücke stand einfach in der Landschaft. Der Spitzname war schnell gefunden: "So-da-Brücke".

"Das Projekt hat eine wechselvolle Geschichte und die Finanzierung war für das gesamte Vorhaben unsicher. Wir wussten in dem Moment nicht, wann kommt die Brücke tatsächlich zum Einsatz, wann rollen die Züge darüber."

Frank Kniestedt, Sprecher Deutsche Bahn

2006 wurde die Brücke in das sogenannte Schwarzbuch, das bundesweit Steuerverschwendungen anprangert, aufgenommen. Jahr für Jahr sind Kosten für Unterhalt und Instandhaltung der "So-da-Brücke" angefallen, so die Kritik. Erst 2014 – also rund 10 Jahre später – wurden schließlich die Gleise über die Brücke gelegt.

Hochgeschwindigkeitstrasse vs. Regionaltrasse

Der Hauptkritikpunkt an dem Großprojekt: die hohen Kosten. Sie wurden anfänglich auf 10 Milliarden D-Mark geschätzt, mittlerweile sind sie auf mindestens 10 Milliarden Euro angewachsen. Zudem würden von dem Bau nur einige wenige Städte profitieren, während Fahrgäste abseits der Magistrale auf der Strecke bleiben, so die Position der Grünen. Lichtenfels zum Beispiel liegt nicht mehr an der ICE-Strecke und verliert seinen ICE-Halt.

Auch der Bund Naturschutz hätte es lieber gesehen, das regionale Schienennetz auszubauen anstatt auf eine Hochgeschwindigkeitstrasse zu setzen. So kritisiert Tom Konopka vom Bund Naturschutz, dass zwischen Marktredwitz und Cheb in Tschechien die Züge immer noch auf eingleisigen Trassen fahren, die nicht elektrifiziert sind. Die Elektrifizierung der Franken-Sachsen-Magistrale steht dabei seit 1992 im Bundesverkehrswegeplan. Passiert sei aber noch nichts.

"Längste U-Bahn Europas"

Auch an der ICE-Trasse haben die Naturschützer einiges zu kritisieren, insbesondere an der Neubautrasse zwischen Ebensfeld (Lkr. Lichtenfels) und Erfurt:

"Dort ist heute die größte und längste U-Bahn Europas entstanden. Die Eierberge und das Banzer Hügelland wurden mit gigantischen Baumaßnahmen zurechtgehobelt und sind zum Teil nicht mehr wiederzuerkennen."

Tom Konopka, Bund Naturschutz

Auch entlang der Ausbaustrecke zwischen Nürnberg und Ebensfeld wurde stark in die Natur eingegriffen. Bei Ebling (Lkr. Bamberg) musste der Main der ICE-Trasse weichen. Das Flussbett wurde auf mehr als einem Kilometer Länge um 170 Meter nach Westen verlegt. Die Bahn argumentiert, dass dadurch der gerade Flusslauf wieder renaturiert werden konnte. Der Bund Naturschutz bleibt skeptisch: "Ob die Verlegung mit Renaturierung einen wirklichen Gewinn für Natur und Landschaft darstellt, muss sich erst noch zeigen", sagt Konopka.

Modernste Sicherheitstechnik

Der neugebaute Tunnel Eierberge ist mit 3.756 Metern nun der längste Tunnel in Bayern. Alle Tunnel entlang der ICE-Neubaustrecke verfügen dabei über die modernste Sicherheitsausstattung, so die Deutsche Bahn. Die umliegenden Feuerwehren proben bis zur Eröffnung das Rettungskonzept. Die größte Herausforderung: Die Rettungskräfte müssen in den Tunneln weite Wege zurücklegen. Neue Fahrzeuge mit Spezialausrüstung sollen ihnen dabei helfen.

Die Tunnel zwischen Ebensfeld und Erfurt

Geduldsprobe für die Anwohner

Bahnarbeiten in der Nacht

Aber auch vielen Anwohnern entlang der Trasse wurde viel abverlangt. Die monatelangen Baustellen und Streckensperrungen trafen insbesondere die Pendler. Bahnsprecher Frank Kniestedt erklärt, dass zwar die meiste Zeit unter "laufendem Rad" gebaut wurde, also während die Züge fuhren, Sperrungen aber trotzdem nicht zu vermeiden waren. Die längste Vollsperrung dauerte 34 Wochen, also ein dreiviertel Jahr. Betroffen war 2016 die Strecke zwischen Hallstadt und Bad Staffelstein.

Risse in Häusern und zerschnittene Ortschaften

Aber auch andere Probleme traten auf: Bürger, die in der Bahnhofsstraße in Ebensfeld wohnen, beklagen Risse in ihren Häusern, die von den Bauarbeiten an der Trasse stammen sollen. Schwere Baumaschinen brachten das Geschirr zum Scheppern, zeigen Amateuraufnahmen. Deswegen fordern sie Schadensersatz von der zuständigen Baufirma.

Schallschutzwände bei Breitengüßbach

Andere Ortschaften wie Breitengüßbach (Lkr. Bamberg) werden von der ICE-Trasse regelrecht zerteilt – durch die vierspurigen Gleise und den meterhohen Lärmschutzwänden.

Frank Kniestedt steht mit einer orangen Warnweste auf dem neugebauten Bahnsteig und ist von der Technik entlang der Strecke begeistert. Er hebt die positiven Veränderungen für Breitengüßbach hervor: "Hier in Breitengüßbach ist ein moderner Bahnsteig mit Aufzügen entstanden. Die ganze Strecke ist mit Schallschutz ausgestattet, man hört die Züge praktisch nicht mehr."

Knackpunkt Bamberg 

Doch gerade diese meterhohen Lärmschutzwände machen den Bürgern wiederum in Bamberg Angst. In der Welterbestadt regt sich deswegen schon seit Jahren der Widerstand gegen die Pläne der Deutschen Bahn. Und so wurde in Bamberg auch noch nichts gebaut. Derzeit werden noch mögliche Trassenvarianten diskutiert. Die Möglichkeiten reichen von einer weitgehenden Untertunnelung der Stadt, über eine Teiluntertunnelung bis hin zum oberirdischen Ausbau der Bestandsstrecke.

"Wir haben uns praktisch vom Norden und vom Süden an Bamberg herangearbeitet. In Bamberg haben wir noch keinen gemeinsamen Entschluss, wie wir den viergleisigen Ausbau dort ausführen werden. Bamberg wird bei dem Projekt ICE-Trasse Nürnberg-Berlin dann der Schlussstein sein."

Frank Kniestedt, Sprecher Deutsche Bahn

Außerdem sind rund 40 Kilometer Ausbaustrecke zwischen Bamberg und Nürnberg noch nicht fertig. Mit dem Fahrplanwechsel am 10. Dezember will die Deutsche Bahn dennoch die ICE-Strecke in Betrieb nehmen. Die Fahrtzeitverbesserungen sollen an die Bahnfahrer weitergegeben werden, sagt Kniestedt.

EU bezuschusst VDE 8

Das Projekt VDE 8 wird von der EU mitfinanziert, denn die Trasse hat auch eine europäische Dimension. Von Finnland bis Sizilien soll es nach dem thüringisch-fränkischen Lückenschluss möglich sein, ohne Lokwechsel über die Ländergrenzen von Süd- nach Nordeuropa zu reisen. Damit das funktioniert, muss alles zusammenpassen, zum Beispiel die Höhe der Bahnsteigkante oder das Zugleitsystem.