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Unentdecktes Europa Die Nationalparks Djerdap und Kozara

Trotz der Öffnung Europas nach Osten und der Mitgliedschaft von elf neuen Staaten in der EU, gibt es noch viele unentdeckte Regionen, die über Jahrhunderte eine wichtige Rolle auf dem alten Kontinent spielten.

Von: Barbara Mai und Manuela Roppert

Stand: 24.11.2013 | Archiv

Herbstlandschaft im Nationalpark Djerdap | Bild: BR

Die "schöne blaue Donau" am "Eisernen Tor" – diese beeindruckende Landschaft ist weitgehend aus dem Bewusstsein der Europäer verschwunden. 190 Kilometer östlich von Belgrad, der serbischen Hauptstadt, liegt der Nationalpark Djerdap.

Auf derselben Donauseite, etwa 350 Kilometer weiter westlich, in der Nähe der Stadt Prijedor, liegt der Nationalpark Kozara. Ein Mittelgebirge, das vor allem zum Wandern einlädt. Am Fuße des Nationalparks: das Städtchen Kozarac - eine muslimische Enklave im serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas.

Indian Summer im serbischen Erzgebirge, das südlich der Donau die Ausläufer des Karpatenbogens bildet. Misch- und Laubwälder, die bis weit in den November in ihrer Farbenpracht leuchten. Eine Region, die für Wanderer immer wieder überraschende Ausblicke bereithält.

Kulturlandschaft mit wechselndert Herrschaft

An der Festung Golubac beginnt der ausgedehnte Nationalpark Djerdap. Die "Taubenburg", wie sie auch genannt wurde, lag noch bis 1972 hoch in den Felsen über dem Fluss. Damals wurde die Donau auf einer Länge von über 200 Kilometern gestaut, seitdem steht der untere Teil im Wasser. 1335 erstmals schriftlich erwähnt, wechselte die Burg mehrfach den Besitzer, Ungarn, Serben und Osmanen mussten die wichtigste Festung östlich von Belgrad immer wieder übergeben, später mischten auch die Habsburger mit.

Eine faszinierende Fluss-Seen-Landschaft - von Menschenhand geschaffen. Wie es hier vor dem Bau der Staudämme ausgesehen hat, als sich die Donau noch durch die Felsen und Klippen zwängen musste, daran können sich nur noch ältere Menschen erinnern.

Serbien ist bisher kein Tourismusland, trotz beeindruckender Landschaften und kultureller Vielfalt. Sein Image ist seit dem Jugoslawienkrieg immer noch angeschlagen, die Wirtschaft kommt nur langsam aus der Krise und die Infrastruktur entspricht nicht westlichen Standards. Dennoch scheint das kleine Land Neugier zu erwecken, vor allem bei jüngeren Menschen, die schon viel gesehen haben und nun einen "weißen Fleck" auf der Europakarte erkunden wollen – wie diese Gruppe aus Frankreich, den Niederlanden und Deutschland.

Begegnungen mit der Natur

Sie sind am Nachmittag auf dem Rückweg vom Aussichtspunkt Mali Strbac und haben diese Frühaufsteher lange verpasst: eine Bache mit ihrer großen Kinderschar. Im Morgengrauen sind die "Schwarzkittel" unterwegs, um sich mit Bucheckern und Eicheln – es dürfen aber auch fette Würmer sein – eine möglichst dicke Fettschicht für den bevorstehenden Winter anzufuttern.

Frühaufsteher sind auch die Donaufischer, die ihre ausgelegten Netze absuchen. Die Menschen am Fluss leben von Landwirtschaft und Fischfang, Industriebetriebe bieten in dieser Region nur wenige Arbeitsplätze.

Waller, Karpfen und Welse gehen hier hauptsächlich ins Netz, große Fische, die etliche Kilos auf die Waage bringen. Doch allein davon könnten die Fischer nicht leben, meist betreiben die Ehefrauen kleine Landwirtschaften, um das Familieneinkommen zu sichern. Die Fänge landen meist in Restaurantküchen oder werden privat verkauft, was übrig bleibt, wandert in die heimischen Kochtöpfe.

Große Geschichte

Nicht weit von hier erinnert die "Tabula Traiana" an die Römerzeit. Kaiser Trajan hatte im Jahr 100 nach Christus entlang der Donau eine Straße und hier am "Eisernen Tor" eine Brücke bauen lassen. Diese Huldigung Trajans musste vor der Stauung der Donau 1972 um etliche Meter höher im Felsen befestigt werden, sonst wäre sie in den Fluten untergegangen.

Gegenüber – am rumänischen Nordufer der Donau – der in Felsen geschlagene Kopf des Dakerkönigs Decebalus. Er wurde zum ernstzunehmenden Widersacher Trajans in der Region, doch unterlag er im Zweiten Dakerkrieg den römischen Legionen. Trajan präsentierte das abgeschlagene Haupt von Decebalus in Rom.

Das monumentale Werk am "Eisernen Tor" finanzierte der rumänische Multimillionär Iosif Constantin Dragan, der seine Landsleute an einen großen König erinnern wollte.

Tekija lebt nach wie vor vom Fischfang und das jährliche Stadtfest "Zlatna Bucka Djerdapa", der Wels-Angelwettbewerb, wird in Fotos verewigt. So mancher Fischer ist kleiner als sein gefangener Wels.

Seit 1972 können Schubkähne und Flusskreuzfahrtschiffe gefahrlos das "Eiserne Tor" passieren, selbst bei Niedrigwasser.

Das Kleinod Djerdap hat ein paar hässliche Flecken – Plastikmüll stört den umweltbewussten Besucher. Neben dem Aufbau einer touristischen Infrastruktur, ist die Bewältigung der Umweltprobleme vorrangig. Und das erfordert Umweltbewusstsein – das es in Serbien noch nicht gibt.

Serbien auf dem Weg in die EU

Serbien wird bald Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union aufnehmen. Der Kandidatenstatus sichert dem Land finanzielle Unterstützung bei der Bewältigung mancher Probleme – auch bei Umwelt und Natur. Im Djerdap-Nationalpark würde so mancher Entdecker dieser bezaubernden Landschaft lieber keinen Touristenboom wünschen.

Die ausgedehnten Wälder des Djerdap bieten reichlich Rückzugsgebiete. Serbien muss dringend aus der Wirtschaftskrise heraus kommen und dabei könnte die touristische Erschließung des Nationalparks helfen.

Die Donau verband über Jahrhunderte ihre Anrainerstaaten. Der "Eiserne Vorhang" teilte den alten Kontinent, die Menschen in West und Ost lebten sich auseinander. Der Donauraum verlor seine geschichtlich gewachsene Bedeutung als Kulturlandschaft und Wirtschaftsraum. Das große Jugoslawien zerfiel blutig und die Hauptschuld musste Serbien übernehmen. Daran trägt der junge Staat bis heute und es wird noch viel Wasser die Donau hinunterlaufen, bis die Wunden auf allen Seiten geheilt sind.

Ein weiterer weißer Fleck im Donauraum: bei Prijedor, erhebt sich das Kozaragebirge mit dem gleichnamigen Nationalpark. Bis auf den für die Fischzucht künstlich angelegten See Saničani ist das etwa 3500 Hektar umfassende Gebiet ursprünglich und unberührt. Das Wahrzeichen des Nationalparks erinnert an die Partisanenkämpfe im Zweiten Weltkrieg. Kozara ist ein weithin unbekanntes Juwel mit einer tragischen Geschichte.

Grüne Schönheit der Krajina heißen die bewaldeten Gipfel des Mittelgebirges im Volksmund. 1967 wurde das Reservat, das in der Bosanska Krajina liegt, zum Nationalpark erklärt.

Zurück zum Urwald

Die wirtschaftliche Schwäche der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik ist ein Segen für den Park. In der Umgebung gibt es kaum Industrie, die der einzigartigen Natur hier schaden könnte.

Und vor einigen Jahren wurde ein Gesetz verabschiedet, das den Holzeinschlag zur wirtschaftlichen Nutzung verbietet. Der Nachwuchs von Meister Reineke kann hier also geschützt aufwachsen. Neben den Füchsen haben auch Hirsche, Rehe, Wildschweine, Dachse und Wiesel in Kozara ihre Heimat.

In einigen Teilen des Nationalparks werden selbst die abgefallen Äste nicht eingesammelt. Hier soll sich wieder ein Urwald entwickeln.

Lieblich statt rau - der Nordwestausläufer des sonst überwiegend steinig-karstigen dinarischen Gebirges schmiegt sich sanft in die Landschaft. Der Nationalpark Kozara ist vor allem Naherholungsgebiet für die umliegenden Orte. Insgesamt 80.000 Besucher werden es in diesem Jahr wohl sein. Von einer neuen Straße erhofft man sich eine deutliche Steigerung. Und vielleicht macht dann ja auch einmal ein ausländischer Tourist einen Abstecher auf die Mrakovica, einem auf 800 Meter Höhe gelegenen Plateau, das der Ausgangpunkte für die meisten Touren ist.

Der Zweite Weltkrieg und der Bosnienkrieg

Auf der Mrakovica wird an eine der größten Schlachten im damaligen Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs gedacht. Hier kämpften Titos Partisanen gegen die deutsche Wehrmacht und die kroatischen Ustascha-Miliz. Mit dem Mythos des Partisanenkriegs hatte Titos geeint, was offenbar doch nicht zusammengehörte. Nach dem Bosnienkrieg, der erst vor knapp 20 Jahren ein Ende fand, sind die Gräben zwischen den Bosniaken und Kroaten auf der einen und den Serben auf der anderen Seite immer noch tief. Im Alltag gibt es jedoch eine vorsichtige Annäherung.

Von der Normalität ist man hier also noch weit entfernt. Gemeinsames Erinnern und Gedenken könnte vielleicht dazu beitragen, wieder zu einander zu finden. Was für die Toten des Zweiten Weltkriegs möglich ist, verweigern die politisch Verantwortlichen der Republika Srbska aber den Opfern der sogenannten ethnischen Säuberung während des Bosnienkrieges.

Das Städtchen Kozarac am Fuße des Nationalparks ist eine muslimische Enklave inmitten des serbischen Teils von Bosnien-Herzegowina. Am 24. Mai 1992 wurde es von bosnisch-serbischen Einheiten angegriffen und mit Granaten beschossen. Nach zwei Tage musste sich der Ort ergeben: Viele der damals 27.000 Einwohner - vor allem die muslimische Elite, aber auch Frauen und Kinder - wurden in Lager deportiert.

Im auch heute wieder überwiegend von Muslimen bewohnten Kozarac gibt es ein Denkmal für die Einwohner, die während des Bosnien-Krieges umgebracht wurden. 1.200 Namen erinnern an sie. Auf dem muslimischen Friedhof von Kozarac sind etwa 600 der zivilen Kriegsopfer begraben. Über 1.000 Menschen aus der Stadt und den umliegenden Dörfern werden noch vermisst.

Diese Bilder gingen damals um die Welt. Trnopolje war eines von insgesamt drei Internierungslagern hier. Trnopolje heute. Nichts erinnert an die Gräueltaten, die hier verübt wurden. Besonders zynisch: ausgerechnet hier steht ein Denkmal für die serbischen Soldaten, die im Bosnienkrieg ihr Leben ließen. Auch im brutalsten der Lager, in Omarska, fehlt jede Spur der Erinnerung. Heute gehört es zum Gelände einer internationalen Stahlfirma.

In den Lagern wurde gefoltert und gemordet: 3000 Tote hat es allein in Omarska gegeben. Viele der Opfer werden noch vermisst. Die Suche hat nun möglicherweise bald ein Ende. Über 400 Leichen - Muslime und Kroaten - wurden hier in Tomašica, unweit von Kozarac, seit September schon geborgen. Es ist das vermutlich größte Massengrab in ganz Bosnien-Herzegowina. Ein serbischer Soldat, der das Schweigen nicht mehr ausgehalten hat, gab den entscheidenden Hinweis.

Auf dem Friedhof von Kozarac werden die Leichen aus dem Massengrab wohl bald ihre letzte Ruhe finden. Das Zusammenleben hier in der Republik Srbska aber wird weiter schwierig bleiben. Wunden, die nicht gereinigt werden, heilen schlecht. Ein zerrissenes Land mit einer ungewissen Zukunft in Europa.

Serbien ist bereits auf dem Weg nach Europa – im Januar beginnen die Beitrittsverhandlungen. Es ist an der Zeit, dass auch der Donauraum ins Bewusstsein der Europäer zurückkehrt.

(Der vorliegende Text ist eine stark gekürzte und redaktionell leicht geänderte Fassung des Sendungsmanuskripts.)


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nachbarn, Montag, 25.November 2013, 11:07 Uhr

2. Michael Schnabel: Sendung

Lieber Herr Schnabel,
Sie haben unsere Sendung kommentiert:
Die Sendung "nachbarn" können Sie heute um 18.15 Uhr in BR-alpha und / oder in der Mediathek auf http://www.br.de/mediathek/video/sendungen/nachbarn/nachbarn112.html sehen.
Schöne Grüße
Ihre nachbarn

michael schnabel, Sonntag, 24.November 2013, 18:14 Uhr

1. unentdecktes Europa

am heutigen Sonntag 24.11. von 17.30 - 18.00Uhr gab es in der reihe"unentdecktes Europa" einen Bericht über die Nationalparks von Djerdap und Kozara. Leider habe ich nur noch die letzten Minuten sehen können. Ist es möglich, mir irgendwie die ganze Sendung oder den Film zukommen zu lassen? Ich habe Freunde in der Gegend, die auch von den Massakern von Kozarac betroffen sind. Ich besuche regelmäßig diese Gegend.
Vielen Dank für Ihre Hilfe und für diese tolle Sendereihe

Mit freundlichen Grüßen
Michael Schnabel