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Russland Kriegsgebiet Internet

Schichtwechsel im Institut für Internetrecherche in Sankt Petersburg, auch Troll-Fabrik genannt. Rund 400 Trolle fluten die Kommentarspalten von russischen und internationalen Nachrichtenseiten mit Putin-Propaganda oder beleidigen Systemgegner.

Von: Christoph Wanner

Stand: 19.07.2015 | Archiv

Grafik Trolle | Bild: BR

Die Provokateure im Dienste des Kreml sind von der Außenwelt abgeriegelt. Es gilt strengste Geheimhaltung. Gearbeitet wird in Großraumbüros, in zwei Schichten, rund um die Uhr. Das Ziel der Trolle: Meinungsmache zugunsten des Präsidenten.

Ludmilla Sawtschuk

Die Troll-Fabrik von innen, gedreht mit einem Handy von Ludmilla Sawtschuk . Die 34-Jährige hat zwei Monate in der geheimen Gehirnwäschefabrik gearbeitet. Dann hatte sie es satt. Sawtschuk hat die Trolle mit Hilfe mutiger Journalisten auffliegen lassen.

"Es geht darum, vor allem Amerika und die Ukraine zu kritisieren. Darüber hinaus sollen europäische Politiker durch den Dreck gezogen werden. Und wir sollten uns über europäische Werte lustig machen."

Ludmilla Sawtschuk, Systemgegnerin und Extroll

Jüngstes Ziel der Trolle: Die Bundeskanzlerin. Provokateure versuchen Merkels Auftritt in sozialen Netzwerken mit Beschimpfungen zu sabotieren. Hintergrund sei das schlechte Ost-West-Verhältnis, sagt Sawtschuk.

"Da sind mit absoluter Sicherheit Trolle am Werk. Wenn auf Instagram ein neuer Beitrag veröffentlicht wird, bekommen sie automatisch einen Link, eine Warnung. Dann fangen sie sofort an schmutziges Zeug zu schreiben. Man kann das Shitstorm nennen."

Ludmilla Sawtschuk

Ein ehemaliger Kollege von Ludmilla, Marat, hat Fremdsprachenkenntnisse. Der Ex-Troll kennt deswegen zusätzliche pikante Interna. Er sagt, zunehmend würden auch deutsche Nachrichtenseiten von Internetprovokateuren attackiert:

"Sie schreiben Kommentare auf Deutsch, auf deutschen Nachrichtenseiten. Sie sind immer gegen Merkel und Obama und gegen europäische Politik. Sie sind immer für Putin und russische Politik."

Marat, ehemaliger Kreml-Troll

Ein Beispiel für Trollverdacht auf einer deutschen Nachrichten Seite: Spiegel-Online schreibt über den Besuch des Kremlchefs beim Papst. Putin, wegen seiner aggressiven Ukraine-Politik im Westen vielerorts geächtet, werde vom Pontifex willkommen geheißen. In der Kommentarleiste des Spiegel-Artikels freut sich ein Leser darüber, dass der Westen Putin nicht isolieren könne. Dazu brauche man noch viel mehr Isofilm. Isofilm, ein Wort, das es im Deutschen nicht gibt. Prompt ätzt ein anderer Diskussionsteilnehmer: "Ist Isofilm etwa das russische Wort für Isolierband?"

Immer wenn im Internet putinfreundliche Kommentare auftauchen, bestehe Troll-Gefahr sagt Ludmilla Sawtschuk.

"Die Palette der Trolle ist groß: Sie steinigen andere Leser, die ihnen zu kremlfeindlich sind. Sie schreiben Briefe an putinkritische Autoren, Redaktionsleiter, Verlage oder Sender. Das machen sie in Russland und im Ausland. Sie haben ja für ihre Attacken Mitarbeiter, die Fremdsprachen können."

Ludmilla Sawtschuk

Ludmilla Sawtschuk und Diana Chatshatrian

Sawtschuk teilt ihr Wissen über Trolle mit der Nowaija Gaseta, eine der letzten kremlkritischen Zeitungen im autoritären Russland. Die investigative Journalistin Diana Chatshatrian ist dem mutmaßlichen Finanzier vieler Internet-Provokateure auf der Spur: Jewgenie Prigoschin, Putinfreund, steinreicher Restaurant- und Cateringbesitzer. Die Troll-Fabrik ist offenbar ein Dankeschön an den Kremlchef für all die großzügigen Staatsaufträge.

Vom Bankett bis zum Edel-Barbecue - Prigoschin ist so etwas wie Putins Leibkoch. Oligarch Prigoschin lasse sich die Trolle einiges kosten, sagt Chatschatrian, rund 800 Euro pro Mann im Monat; nicht schlecht für russische Verhältnisse.

"Wir haben schon einiges über ihn geschrieben. Prigoschins Holding Concord ist sehr aktiv. Mitarbeiter seiner Firmen sind in große Propagandaprojekte involviert."

Diana Chatschatrian, Nowaija Gaseta

Mit Hilfe der Nowaija Gaseta will Sawtschuk die Chefs der Trolle ans Tageslicht zerren, wenn möglich sogar vor Gericht bringen - ein gefährliches Vorhaben.

"Ich bekomme Drohungen. Ich werde oft gefragt, ob ich nicht wüsste, dass man für so was umgebracht werden kann. Tag und Nacht kommen Anrufe. Es ist wirklich beängstigend."

Ludmilla Sawtschuk

Drohungen, Propaganda und Beleidigungen - das platte Konzept der Netzprovokateure scheint zu funktionieren. Ansonsten würden ihre Geldgeber wohl kaum Millionenbeträge in Gehirnwäschefabriken wie in Sankt Petersburg stecken. Ludmilla Sawtschuk will sich nicht einschüchtern lassen, sondern weiter versuchen den Trollen den Spaß an ihre Internethetze zu verderben.


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Jörg Harmening, Samstag, 25.Juli 2015, 11:02 Uhr

1. Internethetze

Mit Wut und Entsetzen habe ich Ihre Reportage zum Thema bezahlte Internethetze im Fernsehen gesehen. Ich bin Deutscher, lebe in Deutschland und werde definitiv nicht von Russland bezahlt, doch dennoch habe ich das Recht auf meine eigene Meinung und aufgrund der extrem einseitigen anti-russischen Berichterstattung in allen deutschen Medien versuche ich durch Kommentare und Leserbrief einen zumindest kleinen Beitrag gegen das Übergewicht der antirussischen Medienhetze zu sein. Ich fühle mich durch diesen Bericht diskreditiert und diffamiert, weil durch diesen Bericht der Eindruck entsteht, dass es keine Menschen gibt die eine andere Meinung als die der Leitmedien haben und wenn jemand eine andere Meinung hat, dann ist er in ihren Augen bezahlt.
Ich hingegen werde von Niemanden bezahlt und betrachte dennoch die USA und vor allem Obama als eine echte Gefahr und Bedrohung für den Weltfrieden.

  • Antwort von Redaktion euroblick, Sonntag, 26.Juli, 12:27 Uhr

    Lieber Herr Harmening,
    wir verfahren uns gegen Ihren Vorwurf "anti-russischer Berichterstattung". Vergessen Sie bitte nicht, dass Russland unter Verletzung des Völkerrechts die Krim besetzt und annektiert hat und ganz offensichtlich in der Ostukraine Krieg gegen die Ukraine führt. Unsere Erfahrung zeigt uns, dass wenige und vereinzelte Stimmen diese nicht zu bestreitende Wahrheit versuchen umzudeuten. Unser Beitrag über die Trollfabrik zeigt unseren Zuschauern und auch Ihnen einen Einblick, wie in Russland versucht wird, nicht nur dort die öffentliche Meinung sondern auch bei uns in Deutschland im Sinn der russischen Regierung und damit oft der Wahrheit widersprechend zu beeinflussen.