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Italien Die Alabaster-Werkstätten von Volterra

Alabasterkörper, eine Haut wie Alabaster. Das seidig glänzende weiße Material war schon immer eng verknüpft mit Schönheit und Ästhetik.

Von: Antje Drinnenberg

Stand: 18.05.2014 | Archiv

Eine Büste aus Alabaster | Bild: BR

Das ist der Stolz von Volterra: Die Fahnenschwingergruppen sind das Aushängeschild der Stadt und in ganz Italien bekannt. Sie reisen mit ihrer mittelalterlichen Kunstform durch die ganze Welt und erkämpfen sich mit ihrer schwungvollen Artistik viele Preise.

Heute kämpfen sie mit anderen Fahnenschwingern um etwas, auf das die Volterraner auch unglaublich stolz sind: Einen Preis aus Alabaster. Dieser wurde – wie jedes Jahr – hier in der Stadt hergestellt und ist eine der begehrtesten Trophäen unter den Fahnenschwingern:

Denn Alabaster und Volterra sind seit jeher eng mit einander verknüpft: Die zahlreichen Souvernirshops und Werkstätten prägen das Stadtbild. Von Kunst bis Kitsch: Die Bandbreite der Dinge, die in den Läden angeboten werden ist groß. Viele Familien leben seit Generationen vom Alabaster.

Giorgio Finazzo

So auch die renommierten Künstler Giorgio Finazzo und Roberto Chiti. Skulpturen - Künstler lieben den feinen Werkstoff. So hat er auch die beiden Volterraner Bildhauer von Klein auf fasziniert:

"Als ich ein kleiner Junge war - ich bin um die Ecke geboren - habe ich abends immer hier durchs Fenster geguckt, um dem alten Besitzer zuzuschauen wie er arbeitet. Irgendwann rief er mich rein und lies mich mithelfen. Manchmal durfte ich etwas schleifen und nach und nach ging mir die Arbeit ins Blut über. Als ich dann mit der Schule fertig war, habe ich mich für dieses Handwerk entscheiden."

Giorgio Finazzo, Alabaster-Künstler, Volterra

Heute gehört ihm die Werkstatt von damals gemeinsam mit seinem Kollegen: Seit 35 Jahren führen die beiden Alabasterkünstler nun eine Art Werkstattehe. Was sie verbindet, ist die Liebe zu dem weichen Material. Alabaster ist sehr leicht zu bearbeiten, aufwendige Verzierungen und besonders feine Strukturen von Gesichtern lassen sich sehr gut herausarbeiten. Roberto Chiti mag an dem Material, dass man aus ihm alles herstellen kann, was man sich ausdenkt. Für ihn ist Alabaster vor allem eins:

"Warm. Das ist ein Material, das in jeder Hinsicht eine gewisse Wärme ausstrahlt. Es ist ein besonderes Material, so glatt. Und es ist ein schönes Gefühl es zu berühren - und: Es hat einen schönen Klang. Ich arbeite seit 35 Jahren mit Alabaster. Das zeigt, wie sehr es mir gefällt. Das ist eine Leidenschaft, die mir immer bleiben wird."

Roberto Chiti, Skulpturenkünstler, Alab´Arte, Volterra

Dass gerade hier in den toskanischen Hügeln große Vorkommen von Alabaster lagern, ist kein Zufall. Vor Millionen von Jahren waren diese Hügel unter Wasser - in einem riesigen Meer. Der gipshaltige Alabaster ist konzentriertes Calciumsulfat aus dem Meereswasser. Diese Auslagerungen, die sogenannten Ovuli, die Alabastereier werden rund um Volterra abgebaut.

Roberto Bianchi besitzt eine der letzten Minen, in der Alabaster für künstlerische Zwecke abgebaut wird. Dorthin macht er auch Führungen und erklärt die Besonderheiten des Volterraner Alabasters:

"Dieser hier eignet sich besonders gut, um Skulpturen daraus zu machen. Er hat eine warme Farbe, ist leicht durchsichtig und mit diesen schwarzen Linien durchzogen. All das ist typisch für einen Stein aus Volterra."

Roberto Bianchi Alabaster-Minenbesitzer

Künstler, wie diese Bildhauer aus Belgien, fahren extra zu ihm, um sich solch einen speziellen Stein zu holen. Ein Stein mit Charakter, das zeichnet den Volteranner Alabaster aus.

Schon vor 2000 Jahren schätzen die Menschen den Stoff, aus dem sich die Träume der Künstler abbilden lassen:

Die Geschichte der Alabasterverarbeitung in Volterra beginnt mit einem rätselhaften Volk, dessen Herkunft bis heute völlig ungeklärt ist, mit den Etruskern. Sie waren die erste Hochkultur auf italienischem Boden, besaßen für die damalige Zeit ungeheure handwerkliche Fähigkeiten und hatten den Hang, den Weg ins Jenseits pompös zu gestalten.

Fabrizio Burchianti

So ließen sich die reichen Etrusker in Alabasterurnen bestatten: Der Stein war Luxus im dritten Jahrhundert vor Christus und das weiche Material entsprach dem mythischen Ausdruckswillen dieses Volkes.

"Weil das Material eben so schön war und weil es die Eigenschaft hat, dass es sich gut bearbeiten lässt. Und so war es möglich mit Alabaster wahre Meisterwerke zu erschaffen, das mit anderen Werkstoffen nicht so leicht gewesen wäre. Nur die reichsten, die aristokratischen Familien konnten sich ein solch edles Material leisten."

Fabrizio Burchianti, Direktor des Etruskischen Museums Volterra

Mit dem Niedergang der Etrusker durch die Römer, verlor auch der Alabaster an Bedeutung. Es folgten Epochen, in denen das Material gefragt war, und Zeiten. in denen Alabaster nicht mehr als edel und fein angesehen wurde wie der Marmor. Im 16. Jahrhundert war es beispielsweise billiger als Glas und diente Jahrzehnte so Werkstoff für Kirchenfenster.

Der Ruf des Alabaster schwankte zwischen Luxusgut oder Werkstoff, aus dem reine Massenware hergestellt wurde. so wie die Volteraner Perlen: Diese wurden in Norditalien als Rosenkränze verkauft. Und Alabaster wäre vielleicht gänzlich von der Bildfläche verschwunden, hätte es nicht diesen Mann gegeben: Den Volteraner Adligen Ingirami Fei. Er setzte auf Kunst statt Masse und gründete die erste Kunsthandwerkschule für Alabaster Ende des 18. Jahrhunderts. Handwerkliche Kunstfertigkeit sollte sich wieder lohnen. Damit wollte er viele Alabasterarbeiter aus der Armut holen.

In der Folge entstanden Exponate von höchster Güte. Händler vertrieben die Waren in alle Welt und Alabaster erlebt eine neue Blütezeit: Zwei Generationen lang wurde nun auf höchstem Niveau produziert. Wertvolle Exponate aus der größten Werkstatt Mitte des 19. Jahrhunderts stehen noch heute im Palazzo Viti in Volterra.

Auch in den 1930er Jahren, im Art Deco, war Alabaster noch gefragt. Doch in den 1980er Jahren ging es aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten wieder bergab. Viele Minen mussten schließen und in der Folge auch zahlreiche Künstlerwerkstätten. Eröffnet wurden stattdessen Shops, in denen sich wieder Massenware findet.

Auch Roberto Chiti und Giorgio Finazzo mussten sich diesem Trend beugen: In den 90ern mussten sie einen Laden eröffnen, um ihre eigenen Sachen noch verkaufen zu können. Auch wenn ihr Geschäft noch echte Schmuckstücke enthält, so hat sich ihr Alltag doch stark verändert: Waren früher die Hälfte ihrer Aufträge teure Statuen, machen die anspruchsvollen Anfragen heute nur noch zehn Prozent ihrer wirklichen Arbeit aus. In der restlichen Zeit fertigen sie Teller, Lampen, Vasen und Kleinigkeiten: Massenware "Made in Volterra".

"Das ist schade. Es fehlt überall an Arbeit und deshalb eben auch Geld. Die Menschen fragen heute eher nach Massenprodukten als nach hochwertigen Kunstwerken das ist eben so. Aber Alabaster ist mein Leben - ich bin mit Alabaster geboren und ich werde damit streben."

Giorgio Finazzo, Alabaster-Künstler, Volterra

Früher arbeiteten 70 Leute in ihrer Straße - heute sind es nur noch die beiden: So hoffen die Zwei auf eine neue Generation, die in ihre Fußstapfen treten und das traditionsreiche Handwerk übernehmen wird: Und diese Generation steht auch schon mit einer neuen Vision bereit. Diese jungen Leute wollen Alabasterkünstler werden und machen eine Ausbildung an der weltweit einzigen Alabaster-Kunsthandwerkschule in Volterra.

Voller Energie arbeiten sie daran, dass es Kunst "Made in Volterra" auch noch in Zukunft geben wird: Ganz im Sinne ihres geistigen Vaters, der einst den Alabaster vom Untergang bewahrte: Ingirami Fei.

"Meiner Meinung nach ist Alabaster überhaupt nicht verstaubt. Man kann ihm jede Gestalt geben, es ist möglich alles daraus zu machen, was man sich so vorstellt, große und kleine Sachen. Er passt überall gut hin, ob im Wohnzimmer oder in den Pub. Alabaster ist wie ein Schatz von Volterra, den man schätzen und achten, ja den wir retten sollten."

Gulia Franchesi, 18 Jahre, Studentin

Und so hoffen auch die Volteraner, dass die 2000-jährige Geschichte noch nicht zu Ende ist und auch kommende Generation davon leben können, denn Alabaster gehört, wie die traditionellen Fahnenschwinger, von jeher dazu.

Auch wenn die Konkurrenz die begehrte Trommel aus Alabaster gewann: Stolz sind sie alle zusammen auf ihr Material, das die Stadt geprägt hat wie kein anderes zuvor.


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