ARD alpha - Klassiker der Weltliteratur


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Klassiker der Weltliteratur John Steinbeck - "Die Früchte des Zorns"

Millionen haben seine Romane gelesen, mehr noch sind in die Kinos geströmt, um die Verfilmung "Früchte des Zorns" von John Ford oder "Jenseits von Eden" mit James Dean zu sehen. Steinbecks Figuren sind Menschen am Rande der Gesellschaft, die er stets einfühlsam beschreibt.

Stand: 05.07.2016 | Archiv

Die durch John Steinbeck bekannt gewordene Cannery Row in Monterey, Kalifornien | Bild: picture-alliance/dpa/Roland Holschneider

John Steinbeck (1902 - 1968) war 17 Jahre alt, als er sich erfolgreich um die Zulassung an der berühmten Stanford University in San Francisco bewarb. Er belegte Kurse in Literatur, Geschichte und "kreatives Schreiben". Sein Studium verdiente er sich mit Gelegenheitsarbeiten: auf einer Farm, als Bauarbeiter oder in einer Fabrik. Den Abschluss an der Uni hat er nicht gemacht. Stattdessen begann der Sohn deutsch-irischer Eltern mit dem Schreiben sozialkritischer Romane, Novellen und Kurzgeschichten.

1939 erscheint der Roman "The Grapes of Wrath" ("Die Früchte des Zorns", 1940). Der Titel verweist auf eine Bibelstelle in der Offenbarung des Johannes und im Fünften Buch Mose. Er beschreibt Gottes Zorn angesichts der Verfehlungen seines Volkes. Auch die jahrelange Dürre, die das Land Oklahoma überfallen hat, das im Mittelpunkt des Geschehens steht, ist eine göttliche Plage.

"Die Früchte des Zorns"

Der Roman beschreibt das Schicksal einer Familie von Farmern, die in der großen Depression der 1930er-Jahre und der Dürrekatastrophe ihre Heimat verlassen muss. Diese Heimat ist Oklahoma, das Ziel Kalifornien. Der zwölfköpfigen Familie Joad schließt sich der Wanderprediger Jim Casey an. Der Exodus hat kein glückliches Ende: Die Großeltern sterben entkräftet und mutlos, ein Sohn und der Schwiegersohn machen sich aus dem Staub. Als die Familie Kalifornien erreicht, findet sie nicht das gelobte Land vor. Sie landet in einem Auffanglager und erlebt all die Formen von brutaler Ausbeutung, die billige Arbeitskräfte erdulden müssen.

Das Buch wurde bereits ein Jahr nach seiner Veröffentlichung von John Ford mit Henry Fonda in der Hauptrolle verfilmt.

Leseprobe:

Ein mächtiger roter Lastwagen stand vor dem kleinen Gasthaus. Aus dem senkrechten Auspuffrohr knatterte es leise, und ein fast unsichtbarer Dunst von stahlblauem Rauch schwebte darüber. Es war ein neuer Lastwagen, glänzend rot, und auf seinen Seitenwänden stand in Zwanzig-Zentimeter-Lettern: OKLAHOMA CITY TRANSPORT COMPANY. Seine Doppelreifen waren neu, und ein Messingschloss stand stramm ab von der Krampe an den großen Hintertüren. Im Gasthaus spielte ein Radio Tanzmusik. Es war leise gestellt, so, wie es ist, wenn niemand zuhört. In dem runden Loch über der dicht verrammelten Eingangstür summte ein Abzugsventilator, und Fliegen brummten aufgeregt an den Türen und Fenstern herum und stießen gegen die herabgelassenen Jalousien. Ein Mann, der Lastwagenchauffeur, saß auf einem Schemel, hatte die Ellbogen auf die Theke gestützt und blickte über seinen Kaffee hinweg die magere einsame Kellnerin an. Er redete mit ihr in der flotten, nachlässigen Sprache der Leute auf der Landstraße. "Vor drei Monaten habe ich ihn mal gesehen. Hat'ne Operation gehabt. Irgendwas rausgeschnippelt. Habe vergessen, was." Und sie: "Mir kommt's vor, als hätte ich ihn erst vor 'ner Woche gesehen. Sah gut aus. Er ist'n netter Kerl, wenn er nicht besoffen ist." Hin und wieder dröhnten die Fliegen leise an der Tür. Die Kaffeemaschine spie Dampf aus, und ohne sich umzublicken, griff die Kellnerin hinter sich und drehte sie ab.

John Steinbeck: "Die Früchte des Zorns". Übers. von Klaus Lambrecht, 1940

"Die Straße der Ölsardinen"

Cannery Row ist der Titel des heitersten Romans von John Steinbeck. Er erschien 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem Steinbeck als Berichterstatter gearbeitet hatte, und heißt auf Deutsch "Straße der Ölsardinen". Der Held der Geschichte ist ein Meeresbiologe und er hat zwei große Leidenschaften: die akademische Forschung und das Erobern junger Frauen. Genannt wird er nur: "Doc". Zum gesellschaftlichen Umfeld von Doc auf der Cannery Row gehören eine Handvoll Menschen am Rande der Gesellschaft, die ihrem Freund und Gönner eine Party bereiten wollen, was aber schief geht.

Gelesen, geehrt, aber distanziert beurteilt

"Früchte des Zorns" und "Die Straße der Ölsardinen" bezeichnen zwei literarische Gegensätze: Hier den schonungslosen sozialen Realismus einer von der Natur und vom Gesellschaftssystem geplagten Bevölkerung, dort das sorglose Ignorieren sämtlicher Konventionen, das Heitere in den Tag leben von gesellschaftlichen Randfiguren. Zwar gehört John Steinbeck zu den meistgelesenen amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts; 1940 erhielt er den Pulitzer-Preis für seinen Roman "Früchte des Zorns" und 1962 den Nobelpreis für Literatur. Von der Kritik und der Literaturwissenschaft wurde er jedoch eher distanziert beurteilt.


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