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Studieren in China "Flexibel sein, das ist in China das Wichtigste!"

Raimund Rosarius hat Theaterregie an der Central Academy of Drama in Peking studiert. Dort hat er die chinesische Seele kennen gelernt. Peking ist eine der Weltbühnen dieser Erde und Raimund nimmt euch mit auf seine Reise.

Von: Raimund Rosarius

Stand: 01.07.2016

China | Bild: Raimund Rosarius

Ein kleiner Kompass für das Studium in China

Wenn du dich nicht für eine Fahrt mit der sibirischen Eisenbahn entscheidest, beginnt ein China-Aufenthalt mit einem Langstreckenflug. Dort gibt es als Äquivalent zur kontinuierlichen Flüssigkeitszufuhr in viel zu kleinen Bechern moderne Mediatheken auf nicht mehr ganz so modernen Wiedergabegeräten, eine nicht versiegende Medienkonsumquelle, die bunt kuratiert und jedwedem Geschmack etwas bieten möchte. Unter den Hörbüchern finde ich den Titel "Soft-Skills für Geschäftsleute in China". Obschon ich weder einer dieser Geschäftsleute bin noch glaube, dass mangelnde Empathiefähigkeit durch gehäuftes Soft-Skill-Training aufgewogen werden kann, beschließe ich mir den größtmöglichen Reverse Culture Shock zu geben, bevor ich überhaupt in China gelandet bin.

Die Skyline von Peking

Das Chinabild, das in diesem Hörwerk gezeichnet wird, ist irgendwo zwischen Mittelalter und ferner Galaxie anzusiedeln. So wird beispielsweise geraten, man solle in China in jedem Fall vermeiden, weiße Kleidung zu tragen, denn Weiß sei in der chinesischen Kultur die Farbe des Todes. Die Wahl eines geeigneten Hemdes für ein abendliches Geschäftsessen sei nicht leicht, allerdings wäre Rot eine besonders angemessene Farbwahl, mit der man kaum etwas falsch machen könne, denn Rot bedeute in China ja schließlich Glück und ein langes Leben, vielleicht auch Sozialismus – der genaue Wortlaut des Hörbuchs ist mir entfallen.

Das lotusförmige Theaterhaus von Wuzhen

Nun sind chinesische Beamte, den Wächtern der Moral vielleicht am nächsten kommen, meiner Erfahrung nach meistens in weiße Kurzarmhemden gekleidet, die höchstens in der Wahl der Garndichte Spielräume zulassen. Das Tragen eines roten Hemdes würde als Botschaft changieren zwischen zu bemüht und vollends lächerlich: Am ehesten käme bei den Gastgebern wohl die Assoziation des roten Kostüms – einschließlich der roten Unterwäsche – zum Tragen, die ausschließlich für die Zwecke der Hochzeitsnacht getragen wird. Natürlich ist in China vieles anders, auch nach den zwei Jahren, die ich nun in China lebe, lerne ich noch täglich neue Feinheiten der ganz alltäglichen chinesischen Kultur kennen. Gerade am Anfang solltest du keine Angst davor haben, in Fettnäpfchen zu treten, Ratgeber und Reiseführer – auch solche, die sich ein hip-alternatives Markenimage erworben haben – am besten ignorieren, denn es ist Literatur von Nicht-Chinesen für Nicht-Chinesen mit Ratschlägen, die zumeist nur bis zu den Rändern der hiesigen Expatriate-Blase reichen.

Nur keine Angst vor chinesischen Fettnäpfchen

Warum also keine Angst haben, obwohl du viel missverstehen kannst, nur wenig oder gar kein Chinesisch sprichst und gute Ratschläge ohne Kenntnisse der Landessprache nur schwer zugänglich sind?

Wenn man den Leuten in China freundlich und mit Offenheit begegnet, stellt man fest, wie gesellig und ungezwungen die Atmosphäre rasch wird. Als Ausländer kann man viel weniger falsch machen als in anderen Ländern.

"Die Umgangsformen, auf die das Hörbuch so wert legte, sind viel lockerer, Spielregeln ganz allgemein wesentlich dehnbarer als etwa in Deutschland."

– Raimund Rosarius

Atemberaubend schön: Der Naturpark in Zhangjiajie

Insgesamt scheint der Kommunikationsdrang der Chinesen größer zu sein; viele Leute werden aus eigenen Stücken auf dich zukommen – vorsichtig oder gar nicht vorsichtig. Man wird dir sogar Hilfe anbieten, ohne dass du nach ihr fragst. Jemandem zu helfen, ist in der chinesischen Kultur oft der erste Schritt zum Aufbau einer Freundschaft; man beginnt aktiv danach zu suchen, wie man einem neu gefundenen Kontakt eine Hilfe sein könnte.

Ohne Gepäck im chinesischen Hostel - Ein neuer Freund hilft weiter

Beim Flug nach Peking war mein Gepäck in Dubai vergessen worden. Nur mit dem dürftigen Inhalt meines Handgepäcks strandete ich mitten in der Nacht im Hostel, wo ich bis zum Studienbeginn wohnen wollte. Als ich eingecheckt hatte, drückte mir ein junger Chinese, der bis vor kurzem noch Ukulele spielend mit seiner hawaiianischen Freundin auf einem Sofa neben dem Fahrstuhl gesessen hatte, ein Paar Badelatschen in die Hand. Von meinem Gespräch an der Rezeption hatte er mitgehört, dass ich kein Gepäck bei mir hatte und mich geistesgegenwärtig vorm Schlimmsten bewahrt. Bei aller Liebe – die Nasszellen in einem chinesischen Hotel ohne Latschen zu betreten, zählt zu den dümmsten Ideen, auf die man kommen kann. Im weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass er in Peking war, um die Aufnahmeprüfung für die Universität, an der ich eingeschrieben war, abzulegen. In den nächsten Tagen zeigte er mir die Gegend und schließlich erhielt ich die Gelegenheit, mich zu revanchieren. Indem ich ihn als meinen Übersetzer ausgab, konnten wir nach langer Diskussion mit den Sicherheitskräften an der Universität gemeinsam den Campus der Universität besichtigen.

Mein Studium an der Uni in Peking

Ich studiere Theaterregie an der Central Academy of Drama in Peking, diese liegt im östlichen Teil des Stadtzentrums von Peking, in einer Seitengasse der touristisch wohl meistfrequentierten Straße Pekings – der Nanluoguxiang. Klein, alt und begrünt wäre der Campus allein schon einen touristischen Erkundungsabstecher wert. Doch nicht nur deswegen sind die Sicherheitsvorkehrungen – in jüngster Zeit fast schon zu denen einer Kernforschungsanlage mutiert – noch höher als an anderen Universitäten in China. Jedes Mal, wenn ich tagsüber durch die Schleusen zum Campus gehe, meine Karte auf den Sensor lege, mein chinesischer Name, die Uhrzeit, die Uhrzeit des letzten Scans und noch ein paar weitere mysteriöse Zahlen auf dem Display aufblitzen, vergleichen die Sicherheitskräfte mein Einschulungsfoto mit meiner momentanen Verfassung.

"Ich sehe ein paar chinesische Touristen, die sich vor der Plakette der Central Academy of Drama, kurz Zhongxi, verrenken, um ein Foto mit der Universität zu machen, an der vielleicht ihre Lieblingsfilmschauspieler den Abschluss gemacht haben."

– Raimund Rosarius

Nun sind solche Schauspieler mitunter als Lehrbeauftragte auf den Campus unterwegs, wodurch sich die Sicherheitsvorkehrungen zumindest ein wenig begründen lassen…

Eindruck von der Aufführung "The Metamorphosis – A matter of Duty"

Ein weiterer Satz aus dem Geschäftsreiselatein geht ungefähr so: Wenn der Sturm aufzieht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen. Obschon dieses Sprichwort ursprünglich gar kein chinesisches sein kann, weil es, zumindest vor den erneuerbaren Energien keine Windmühlen in China gab, und es für diesen Ausspruch nicht einmal eine Übersetzung im klassischen Chinesisch gibt, trifft es doch ganz gut, was Chinesen meinen, wenn sie Flexibilität als den besten Charakterzug ihrer Kultur anpreisen. Es gibt in China einige eherne Vorstellungen, wie verschiedene Nationen so drauf sind. Bittet man Chinesen, Deutsch-Chinesische Unterschiede zu beschreiben, wird man oft den Satz hören, nachdem die Deutschen gewissenhaft und die Chinesen flexibel seien. Ein befreundeter chinesischer Regisseur mit viel Auslandserfahrung variierte den Satz einmal konnotationsklarer: Gewissenhaft bis zur Dümmlichkeit, flexibel bis zur Illegalität.

Raimund beim "Dernière-Esen" mit der Theatercrew.

Auch wenn es überrascht – kommt kein Gespräch zustande, liegt die Scheu meistens auf der nicht-chinesischen Seite. Zunächst verhalten sich viele Ausländer in China auch im Privaten, vielleicht mit dem Klischeebild des zurückhaltenden Asiaten vor Augen, zu diplomatisch. Dabei sind Chinesen offen für andere Ansichten, meiner Erfahrung nach geradezu erpicht auf konträre Meinungen. Meine Nachbarn sind hauptsächlich uralte Pekinger, die sich eigentlich täglich aus heiterem Himmel heraus heftige Wortgefechte liefern, was ihre Beziehung nur zu stärken scheint. Es gibt einen Pop-Song in Pekinger Dialekt, der die Fengshui-Aufgebrachtheit der alten Leute besingt: Ein wenig in Rage versetzt fühlen sie sich wie die Fische im Wasser. Sich mit anderen Nationen zu vergleichen, ist in China ein regelrechter Volkssport, ebenso ist es Selbstkritik an der eigenen Kultur. Je enger Beziehungen in China sind, desto direkter ist die Kommunikation. Durch die westliche Folie gesehen, kann dieser direkte Umgang sogar unhöflich wirken.

Wie oft bin ich von Chinesen gefragt worden, ob ich nicht Angst habe, dass China mich verdirbt, wenn ich mich dort sesshaft mache? Sich, wie oben erwähnt, gegenseitig kleine Gefallen zu tun oder sich kleine Geschenke zu machen, wird – zum Teil durch vom Westen kommende Wertvorstellungen – zunehmend als eine Form von Bestechung wahrgenommen, auch wenn es nach wie vor ein nicht wegzudenkender Bestandteil der alltäglichen Kultur ist.

"Ein Ausländer, der sich chinesischer verhält als sie selbst – in einer deutschen Entsprechung wohl Zeichen einer vorbildlich gelungenen Integration – ist den Chinesen zurecht mehr als suspekt."

– Raimund Rosarius

Andererseits macht das langsame Verwischen der kulturellen Grenzen es Fremden nur einfacher, auch weil Umgangsformen – besonders unter der jungen, urbanen Generation – sehr individuell geworden sind.

Flexibilität ist im Reich der Mitte besonders gefragt

Zum Trocknen aufgehängte Wachteln in Shaoxing

Ursprünglich wollte ich für ein Forschungsvorhaben im Rahmen meiner Masterarbeit an meiner damaligen Heimatuniversität in Wien ein Jahr lang in Shanghai auf Recherche gehen. Im Laufe meines Studiums hatte ich mich, größtenteils hobbymäßig, immer mehr mit dem klassischen chinesischen Theater beschäftigt. China selbst und vor allem das wenige Buchchinesisch, mit dem ich mich bis dahin beschäftigt hatte, waren aber abstrakt geblieben. Irgendwann wusste ich, dass für mich kein Weg an einem längeren Aufenthalt in China vorbeiführen würde. Darüber hinaus neigte sich meine Studienzeit dem Ende entgegen und ich wollte noch einmal die Chance nutzen in einem Ausland zu studieren, das kulturell ein wenig entfernter ist als Österreich – wobei besagte Fettnäpfchen für einen Deutschen in Österreich eigentlich viel bequemer zu erreichen sind.

Das Stipendium bereitete mich gut auf den Aufenthalt in China vor

Ich bewarb mich für das Stipendien-Programm der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, das in Kooperation mit der Studienstiftung des Deutschen Volkes vergeben wird, deren Stipendiat ich war. Dieses bietet neben der großzügigen Finanzierung eines Studienjahres in China zwei extrem intensive Chinesisch-Sprachkurse an der Universität Trier, die einen soliden Grundstock für das weitere Sprachstudium in China darstellen.

"Das Programm ist insofern einzigartig, als dass es Studierende unterschiedlichster Studienrichtungen zusammenbringt, die nach einem Semester Chinesisch-Sprachkurs an einer selbst gewählten chinesischen Universität, ein zweites Semester in China individuell nach ihren Studieninteressen gestalten können."

– Raimund Rosarius

Das können ein Fachstudium sein, die Fortführung des Chinesisch-Sprachkurses, Praktika, Forschungsarbeiten oder andere Projekte. Beim jährlichen Alumni-Treffen in Berlin kann man erleben, welche Fülle an unterschiedlichen Erfahrungen von den zehn Stipendiaten jedes Jahr zusammengetragen wurden.

Smartphone und Waschmaschine in Chongqing

Als ich schließlich erfuhr, dass ich das Stipendium erhalten würde, assistierte ich gerade bei einer Theaterproduktion in Wien und hatte dementsprechend kaum Zeit zu realisieren, dass ich in wenigen Monaten in China leben würde, für mich der erste Aufenthalt in Asien überhaupt. Aber es war nicht nur der Zeitmangel. Die Nachricht, dass meine Pläne mehr als Tagträume waren, überforderte mich fast und ich brauchte erst einmal zwei Wochen, um mich gedanklich damit beschäftigen zu können.

Wohnen in Peking macht erfinderisch

Im Laufe meiner Mieterkarriere hier habe ich unter Ausbildung nicht für möglich gehaltener handwerklicher und kammerjägerischer Fertigkeiten ein Fenster, eine Tür und eine Toilettenschüssel ausgetauscht, Dunstabzugshaube, Durchlauferhitzer und die im Sommer unersetzliche Klimaanlage repariert, mich gegen Ratten, Skorpione und natürlich den allgegenwärtigen Schimmel erwehren müssen. Bin ich vielleicht doch nicht zum Kochen, sondern zum Reparieren in Peking? Mit viel Eigenleistung komme ich so auf ein für Peking unschlagbares Münchner Mietpreisniveau.

Dieses Foto hat Raimund auf seiner Reise aufgenommen. Hier war er in Fenghuan.

In den wenigen – ach so teuren – Quadratmetern Gasse ist ein Territorialstreit entbrannt zwischen einer Filmcrew, einem Rikscha Fahrer samt auf Kantonesisch staunender Passagiere und den sich traditionsgemäß auf der Straße zwischen all den Baumaterialien sonnenden alten Pekingern. Ein Streit, den die alten Pekinger, wiederum traditionsgemäß, für sich entscheiden werden. Das Beste ist, ich muss Geschichten hier nicht erst erfinden, sie passieren einfach um die Ecke. Du spielst mit dem Gedanken in China zu studieren oder zu arbeiten? Keine Sorge, es wird alles klappen, nur ganz anders als du es dir vorstellst.

Länderinfo: China

  • In der Volksrepublik China leben circa 1,4 Milliarden Menschen. Hier werden neben dem Hochchinesischen ("Putonghua") auch Dialekte des Chinesischen und verschiedene Minderheitensprachen wie Mongolisch, Tibetisch, Uigurisch, Turksprachen und Koreanisch gesprochen.
  • Nach Russland, Kanada und den USA ist China flächenmäßig das viertgrößte Land der Welt.
  • Im Norden grenzt China an die Kirgisische Republik, an Kasachstan, die Mongolei und die Russische Föderation, im Osten an das Gelbe Meer und das Ostchinesische Meer sowie an Nord-Korea, im Süden an Vietnam, Laos, Myanmar, Indien, Bhutan und Nepal und im Westen an Tadschikistan, Afghanistan und Pakistan.
  • An den meisten staatlichen Hochschulen wird momentan ausschließlich in chinesischer Sprache gelehrt. Für Studierende, die ein Auslandssemester in China absolvieren möchten, gibt es an einigen chinesischen Hochschulen jedoch zum Teil ein speziell für sie erstelltes englischsprachiges Studienangebot.
  • Das akademische Jahr in China ist in zwei Semester unterteilt, die von Mitte Februar / Anfang März bis Juli und von September bis Mitte Januar / Anfang Februar dauern.

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