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MINT-Nachwuchsbarometer Interview mit Prof. Ortwin Renn

Was sind die genderspezifischen Motivationsunterschiede bei der Wahl des Studienfachs? Und wie kann man mehr Frauen dazu bringen, sich für ein MINT-Fach zu entscheiden?

Von: Katharina Willinger

Stand: 16.08.2019

Ortwin Renn | Bild: BR

Ortwin Renn ist Professor für Technik- und Umweltsoziologie an der Universität Stuttgart und Projektleiter des MINT-Nachwuchsbarometer - eine jährliche Bestandsaufnahme unter Schülern, Studierenden und Auszubildenden, die das Interesse und die Motivation für die MINT-Fächer erfasst und Vorschläge macht, wie man - gerade auch die Mädchen bzw. Frauen - stärker für diese Fächer motivieren kann.

Herr Prof. Renn: Gab es in den letzten Jahren einen Anstieg des Frauenanteils in den MINT-Fächern?

Es gab einen Anstieg, aber keinen dramatischen. Wir haben ungefähr acht Prozent mehr Frauen als früher. Aber die sind natürlich innerhalb der MINT-Fächer unterschiedlich verteilt. Wir haben klassische Fächer, wo die Frauen inzwischen in der Mehrheit sind - beispielsweise Architektur und Innenarchitektur. Auch im Bereich der Biologie und der Chemie haben wir inzwischen mehr als 50 Prozent Studentinnen. Aber in den Ingenieurwissenschaften und in Elektrotechnik liegt der Frauenanteil immer noch zwischen 10 und 18 Prozent, also weit unterdurchschnittlich.

Was sind Gründe für diese großen Unterschiede?

Frauen studieren vor allem die Fächer, in denen sie neben der Technik auch noch andere Kompetenzbereiche erlernen, zum Beispiel Wirtschaftsingenieurwesen. Das ist ein Fach, wo Frauen sehr viel stärker vertreten sind als früher. Aber auch in sogenannten Hybrid-Fächern, wenn es um Kommunikation oder Kommunikationstechnik geht, sehen wir: Das ist für Frauen attraktiv.

Gibt es genderspezifische Motivationsunterschiede bei der Wahl eines Studiengangs?

Ja, die gibt es! Frauen sind in der Regel intrinsischer motiviert als Männer, die eher extrinsisch motiviert sind - also durch äußere Faktoren wie Geld, Karrierechancen, auch durch Sozialprestige. Intrinsisch bedeutet dagegen, dass ich durch eine selbst wahrgenommene Begabung motiviert bin, durch eigene Interessen, aber auch, weil ich glaube, dass mir dieser Beruf Spaß machen würde. Von daher ist es ganz wichtig, dass, wenn man junge Frauen gewinnen will, ihre intrinsische Motivation anspricht.

Bringen die vielen Förderprogramme wie Girls' Days was?

Sie bringen was, indem sie die Aufmerksamkeit auf diese MINT-Fächer lenken und so eine Initialzündung sein können. Wenn aber die Personen, die an solchen Programmen teilgenommen haben, dann nicht irgendwo abgeholt werden, verpufft der Effekt. Wir haben eines der sehr großen Angebote evaluiert, wo viele 100.000 Euro reingeflossen sind: Eine ganze Woche lang tolles MINT-Programm. Die Leute waren begeistert. Sechs Monate später konnten sich 50 Prozent nicht mehr daran erinnern, überhaupt da gewesen zu sein! Also wichtig ist: Wir brauchen eine Fortsetzung, sonst verpuffen diese Programme.

Wo sollte Förderung ansetzen, um mehr Frauen in den MINT-Bereich zu bringen?

Erstens brauchen wir eine kontinuierliche Förderung: Wir haben Förderung im Kindergarten, dann haben wir jahrelang nichts. Dann kommt mal wieder in der Schule was und dann ganz zum Schluss in der Universität. Eine gewisse Kontinuität wäre sehr wesentlich. Das kommt beiden zugute: Männern und Frauen. Das zweite sind Mentorinnen-Programme. Mentorinnen heißt: Frauen, die in MINT-Fächern wirklich auch Karriere gemacht haben. Die als Vorbild dienen können – und vor allem in Übergangsphasen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und das dritte ist, dass wir gerade in den Schulfächern mehr frauenspezifische Themen im Technik- oder Physikunterricht ansprechen sollten - einfach andere Themen als Autos und Raketen, die oft in der Mechanik im Vordergrund stehen. Viele Mädchen sind abgeturnt, wenn sie immer nur das typische Jungsspielzeug im Physikunterricht präsentiert bekommen.


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