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Die Folgen Republikfeinde im Aufwind

Stand: 30.11.2009 | Archiv

Hitler-Putsch am 9. November 1923 in München | Bild: SZ Photo

Am 10. Januar 1920 trat der Versailler Vertrag formell in Kraft. In Deutschland hatte man jedoch andere Ausdrücke für ihn: "Diktat von Versailles", "Schmachfrieden", "Schandvertrag". Die alleinige Kriegsschuld wollte man nicht akzeptieren, man fühlte sich gedemütigt, empfand das Vertragswerk als Unrecht. Rechte Kreise initiierten regelrechte Hetzkampagnen. Matthias Erzberger wurde zum Verhängnis, dass er den Waffenstillstand von Compiègne unterschrieben hatte.

Mitinitiatoren der "Dolchstoßlegende": Hindenburg (links) und Ludendorff (rechts)

Er wurde 1921 Opfer eines Fememordes. Die Minister Hermann Müller und Johannes Bell galten als "Landesverräter", weil sie den Friedensvertrag unterzeichneten. Dass eine derartige Hasslenkung funktionierte, hing auch mit dem Verhalten der Obersten Heeresleitung (OHL) kurz vor Kriegsende zusammen.

Als sich die Niederlage abzeichnete, sprach sich Erich Ludendorff im September 1918 für eine Parlamentisierung der Regierung aus. Der Trick dabei: Die OHL trat in den Hintergrund. In Compiègne war sie ebensowenig dabei wie ein Repräsentant der abgedankten Monarchie. Die Unterschrift unter den Waffenstillstand setzte mit Erzberger ein Abgesandter der neuen parlamentarischen Regierung Max von Badens.

"Dolchstoßlegende" und Republik-Verachtung

Das war der Ursprung der sogenannten Dolchstoßlegende: Die Armee sei im Feld unbesiegt geblieben, die Politiker in der Heimat hätten den Karren in den Dreck gefahren und die "Erniedrigung" des Deutschen Reiches mit dem Versailler Vertrag besiegelt. Nationalisten und Rechtskonservative nutzten die Situation aus, um die erste deutsche Republik sofort zu diskreditieren. Sie unterminierten von Beginn an das Vertrauen in die Demokratie. Mehr noch: Die "Schmach" von Versailles und die Geburt der Weimarer Republik waren für sie zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Revisionismus begünstigt Hitlers Aufstieg

Deutschnationale, Republikfeinde, Monarchisten - sie alle setzten daher von Anfang an die Signale auf Revisionismus. Diese Karte spielte auch die zu Beginn der 1920er-Jahre in München aufkeimende Bewegung der Nationalsozialisten. Sie bekämpften am vehementesten das parlamentarische System, das für sie ohnehin ein Werk verhasster Linker, Intellektueller, Juden und Pazifisten war. Eines der wichtigsten Ziele Hitlers war, die Versailler Bestimmungen rückgängig zu machen. Dafür erntete er Gefolgschaft in nicht wenigen Teilen der Bevölkerung.

Hitler: "Es kann nicht sein, dass zwei Millionen Deutsche umsonst gefallen sind. Wir fordern Vergeltung."

Als 1933 die Weimarer Republik erledigt und Hitler an der Macht war, betrieb er vertragsbrechend die Remilitarisierung Deutschlands und die Besetzung des Rheinlandes. Am Ende überzog er diejenigen Länder mit einem Krieg, die in Versailles Regie führten.

Deutschland bleibt Großmacht - aber zunächst isoliert

Deutschland hatte durch die Gebietsabtretungen sieben Millionen Einwohner (zehn Prozent der Bevölkerung) verloren, von denen in den nächsten Jahren aber eine Million zurückwanderte. Zudem musste es 13 Prozent seiner Fläche sowie wichtige Industrieregionen abgeben; auch die Handelsbeschränkungen und Reparationszahlungen trafen das Land hart. Dennoch behielt Deutschland seinen Status als europäische Großmacht.

Deutschland am Boden

Im Konzert der Großen durfte es jedoch - zunächst - nicht mitspielen. Auf Vorschlag des US-Präsidenten Woodrow Wilson wurde 1920 - quasi als kollektives Sicherheitssystem nach der Erfahrung des Weltkriegs - der Völkerbund gegründet, Vorläufer der Vereinten Nationen.

Das Deutsche Reich konnte erst 1926 beitreten. Die Mitgliedschaft währte jedoch nur sieben Jahre. Als Hitler 1933 an die Macht kam, trat Deutschland sofort aus. Das war der Auftakt von Hitlers Provokationspolitik, die am Ende in den nächsten Weltkrieg mündete.

Wer war schuld?

Löste Anfang der 1960er-Jahre einen heftigen Historikerstreit aus: Fritz Fischer.

Die Schuldfrage begleitete den Ersten Weltkrieg von Anfang an. Der englische Premier David Lloyd George wollte nach Kriegsende keinen eindeutigen Verursacher benennen: "Wir sind alle in den Krieg hineingeschlittert", so sein berühmtes Diktum. Für Frankreichs Staatspräsident Raymond Poincaré war dagegen Deutschland der Aggressor: "Der vorsätzliche Charakter des Anschlags ist jetzt schon erwiesen", sagte er zu Beginn der Versailler Konferenz am 18. Januar 1919. In Deutschland fochten, meist nationalistische Kreise, einen vehementen Kampf gegen die "Kriegsschuldlüge". Die deutsche Geschichtsschreibung war davon lange Zeit beeinflusst.

Die "Fischer-Kontroverse"

Einen furiosen Kontrapunkt dagegen setzte 1961 Fritz Fischer mit seinem Buch "Griff nach der Weltmacht". Er sprach darin von einer kontinuierlichen deutschen Kriegszielpolitik. Schon lange vor 1914 sei sie auf den Aufstieg zur Weltmacht ausgerichtet gewesen - und der Krieg habe dazu den nötigen Rahmen geboten. Einige konservative Kollegen empfanden diese These als Tabu brechenden Skandal. Es entwickelte sich ein heftiger Historikerstreit: die sogenannte "Fischer-Kontroverse".

Heutzutage ist es Konsens unter den Geschichtsforschern, dass Deutschland zumindest eine "erhebliche Mitverantwortung" (Andreas Hillgruber) am Kriegsausbruch hatte.


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