BR24

              

12

Was bewegt Deutschland? Die Angst der Kumpel im Werratal

Was bewegt Deutschland im Vorfeld der Bundestagswahl? Andrea Herrmann war daheim in Ost-Hessen an der Grenze zu Thüringen - in Heringen an der Werra, wo seit mehr als 100 Jahren Kali abgebaut wird.

Von: Andrea Herrmann

Stand: 25.08.2017 | Archiv

Ortsschild Heringen | Bild: Montage: BR

Kurz vor Heringen, in einer der letzten Kurven taucht er plötzlich auf, dieser langgezogene, riesige, hellgraue Berg. Fast von überall kann man ihn sehen, den "Monte Kali", auch vom Wohnzimmer meiner Eltern. Mehr als 200 Millionen Tonnen Abraumsalz türmen sich auf dem Hügel  zwischen Wiesen und Wald, 230 Meter hoch. Für die einen ist er ein Monument des Kalibergbaus. Für die anderen eine Umwelt-Hypothek, die noch Generationen beschäftigen wird.

Der Monte Kali

Vorbei an der schwarzen Lore mit dem Bergmanns-Gruß "Glück auf" fahre ich auf das Werk Werra zu, das dem Düngemittelhersteller K+S gehört. Langgezogene Industriegebäude mit Schornsteinen und Fördertürmen, dicht an der Werra, einem der salzigsten Flüsse Europas. Mein Vater hat hier Bergmann gelernt, mein Großvater ist im Berg tödlich verunglückt. Heute arbeiten rund 4.400 Menschen im Werk Werra bei Kali und Salz, die Hälfte davon unter Tage.

"In jeder Familie ist jemand auf dem Schacht, wie wir sagen. Und dieses Erleben das prägt schon sehr viel. Also, die Schichtarbeit auf der einen Seite und das Empfinden: ich fahr' in den Berg ein und dann sind 700 bis 1000 Meter über mir. Das macht was mit der Seele."

Thorsten Waap, Evangelischer Pfarrer in Heringen a.d. Werra

Vorwürfe gegen K+S

Und davon versteht Thorsten Waap, evangelischer Pfarrer in Heringen, so einiges. Kali-Pfarrer nennen ihn viele, weil er einen guten Draht hat zu den Bergleuten und sich nicht wegduckt, wenn es schwierig wird. Und schwierig wurde es in den vergangenen Jahren. Ein heftiger Streit tobte in Heringen und im ganzen Werratal, und bis heute ist er nicht vom Tisch. Im Mittelpunkt: Vorwürfe gegen den Konzern K+S, er habe der Versalzung der Werra, der Böden und des Grundwassers weitgehend tatenlos zugesehen.

Ist das so, frage ich meinen Vater, den ich bei Kartenspielen am Sportplatz treffe. Mittwochabend ist Skatrunde im Vereinsheim. An den Wänden hängen Bilder aller Mannschaften des VfB Heringen. Mein Vater kennt fast jeden Spieler. Gefragt nach dem Umweltschutz in unserem Kalirevier schüttelt mein Vater den Kopf. Da sei einiges schief gelaufen.

"Die Politik hätte früher anfangen müssen und hätte der Kaliindustrie hier, vor allem den Werken in Philippsthal und Heringen, Auflagen machen müssen."

Walter Herrmann (78), Vater der Autorin

Mein Bruder Michael (56) sieht das ähnlich. Irgendwie, so sagt er, hätten alle zugeguckt und gewartet bis das Kind in den Brunnen gefallen sei.

Dilemma zwischen Ökologie und Ökonomie

Das Werk Werra

Was bleibt, ist ein klassisches Dilemma: Für Mensch und Natur im Kalirevier braucht es sinnvolle, strengere Umweltauflagen. Für K+S aber, den größten Arbeitgeber der Region, bedeutet das: Hohe Zusatzkosten und Produktionsausfälle. Das vergangene Jahr war aus betriebswirtschaftlicher Sicht besonders hart: Immer wenn die Werra Niedrigwasser hatte, durfte kein Abfallsalz in den Fluss eingeleitet werden, das Werk stand wochenlang still.

Verluste, Kurzarbeit und Angst

Die Folge: enorme Verluste, Kurzarbeit und Angst bei den Bergleuten vor Entlassungen. Auch bei Ralf Schaft, er sitzt neben mir am Sportplatz. Seit 34 Jahren arbeitet er unter Tage.

"Doch, die Angst ist schon da. Wie gesagt, wenn noch strengere Umweltauflagen kommen, man weiß nicht, wie dann halt eben die Geschäftsleitung sich entscheidet."

Ralf Schaft, seit 1983 Bergmann unter Tage

Kali+Salz einfach zu verteufeln, mache keinen Sinn, sagt Bürgermeister Daniel Iliev. Man müsse auch die Argumente des Unternehmens ernst nehmen. Und die Angst vor dem Jobverlust: Nicht umsonst hätten mehr als 12.000 Menschen im Werratal Hand in Hand für den Erhalt der Kaliindustrie demonstriert. Eigentlich, so Iliev, sei die Sache ganz einfach: Für das Unternehmen müsse sich's rechnen und solange es das tut, brauche niemand Angst vor Entlassungen haben.

"Und ich glaube, das hängt auch viel mit der Stimmung vor Ort zusammen. Wenn man’s einem Unternehmen einfach macht, dann haben die auch Lust darauf, vor Ort zu produzieren. Und Arbeitsplätze zu schaffen. Und haben auch keine Probleme, Gewerbesteuer zu zahlen."

Daniel Iliev (SPD), Bürgermeister in Heringen

K+S schreibt rote Zahlen

Jetzt aber haben sie gewaltige Probleme. K+S schreibt wiederholt rote Zahlen. Statt mit fast zweieinhalb Millionen Euro kann Heringen nur mit gut 200.000 Euro Gewerbesteuer rechnen. Ein Desaster! Vor allem wenn man bedenkt, dass der Ort ohnehin auf einem Schuldenberg sitzt, den der frühere Bürgermeister hinterlassen hat. Für den Neuen, Daniel Iliev eine schwere Hypothek. Er muss nun Gebühren erhöhen und sparen: Auch das Schwimmbad und die Gemeinschaftshäuser stehen auf dem Prüfstand. Die Stimmung im Ort ist nicht wirklich gut.

Alles hängt an K+S

Diese Sicherheit für die Bergleute und ihre Familien kann nur K+S geben, der Konzern, an dem hier in Heringen alles hängt. Auf die Frage, wie ernst die Lage ist und bekomme eine klare Antwort vom Pfarrer.

Andrea Herrmann im Gespräch mit Thorsten Waap

"Wenn hier Kali und Salz nicht mehr produzieren kann und wir keinen Konsens oder zumindest Kompromiss finden zwischen Ökologie und Ökonomie, dann gehen bei uns die Lichter aus."

Thorsten Waap, Evangelischer Pfarrer in Heringen a.d. Werra

Wie so viele andere setzt Thorsten Waap alle Hoffnung in eine Pipeline, die die Salzabwässer bis zur Nordsee transportieren soll, allerdings stößt der Plan bei den Anrainerländen, wie etwa Niedersachsen, auf großen Widerstand.

"Wir haben da aber wirklich ein Interesse dran. Auch weil dieser Berg immer noch vor unserer Tür ist. Wir können den auch so’n bisschen euphemistisch schön reden als Monte Kali. Faktisch ist es eine Halde, die uns über Jahrhunderte beschäftigen wird."

Thorsten Waap, Evangelischer Pfarrer in Heringen a.d. Werra

Auch dann noch, wenn in Heringen schon lange kein Salz mehr gefördert wird. Etwa 40 – 50 Jahre könnten die Vorkommen noch reichen, sagt K+S. Dann dürfte Schluss sein mit dem Kalibergbau im Werratal. Und dann? Was kommt dann, Herr Bürgermeister? "Die Gegenfrage ist: Weiß Wolfsburg, was in der Zeit nach VW ist?"

Wahrscheinlich nicht. Und doch machen sich so einige in Heringen Gedanken. Mein Bruder verweist auf die Werksschließungen im Thüringer Kalirevier kurz nach der Wiedervereinigung. 

"Wenn man sich überlegt, was damals in den 90er Jahren in Bischofferode im Osten gewesen ist, wo’s Hungerstreiks gegeben hat und auch die Politik beteuert hat. Ja, ja! Da kommt was hin! – Da ist eigentlich nichts passiert. Die Orte, die dämmern halt so vor sich hin."

Michael Herrmann (56), Bruder der Autorin

Wahlserie: Was bewegt Deutschland?

"Was bewegt Deutschland im Vorfeld der Bundestagswahl? Um diese Frage ein Stück weit beantworten zu können, haben sich fünf Kolleginnen in ihre Heimatorte aufgemacht, haben mit den Menschen dort gesprochen, um herauszufinden, was ihnen auf den Nägeln brennt.

Probleme im reichen Oberbayern? Unterwegs in Rosenheim. Von Lisa Weiß

Nicht viel los – Radevormwald zwischen Heimatgefühl und Landflucht. Von Nina Landhofer

Im Herzen Europas. Saarlouis und Dillingen brauchen offene Grenzen. Von Sissi Pitzer

Verfall der politischen Kultur - Merkel im Pegida-Land. Von Alexandra Gerlach


12