BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Ein Blick zu den Nachbarn Gebärdensprachprogramme in Europa

In einigen Nachbarländern gibt es so etwas Ähnliches wie „Sehen statt Hören“ – nur eben etwas anders. Alle zwei Jahre treffen sich die europäischen Fernsehmacher zur ISL Konferenz (International Sign Language Meeting), um sich über ihre Programme und die unterschiedlichen Erfahrungen auszutauschen. Dieses Mal fand das Treffen beim BR in München statt.

Stand: 22.06.2016

ISL-Konferenz | Bild: BR

Ein Europavergleich: Wo läuft welches Programm für Gehörlose?

Dänemark

Jeden Samstag läuft im dänischen Hauptprogramm fast eine Stunde Programm in Gebärdensprache. Hier gab es sogar eine Art „Big Brother“ („Huset“), bei dem sechs Gehörlose in einem Haus auf engstem Raum lebten und dabei von Kameras beobachtet wurden. Dabei mussten sie verschiedene Aufgaben bewältigen. Die dänischen Zuschauer lieben solche Unterhaltungssendungen – und möchten sich gerne beteiligen. So wurde vom Publikum schließlich auch der Gewinner gewählt.  Und wie sieht es mit Zusatzangeboten aus? Die Untertitelung im dänischen Fernsehen beträgt 86 %  - im Live-Programm sind es noch 63 %.

Schweden

Das schwedische Fernsehen ist bekannt für seine große Bandbreite an Programmen in Gebärdensprache. Hier gibt es unter anderem täglich Nachrichten in Gebärdensprache im Hauptprogramm, jeden Freitag sogar 15 Minuten für Kinder. Die Regierung verpflichtet sich zudem, jedes Jahr mehr Programm in Gebärdensprache zu senden. Diese Sendungen sind zudem nicht an eine feste Sendezeit gebunden, sondern laufen über das gesamte Hauptprogramm verteilt. Im schwedischen Gesetz steht, dass 100% des Programms untertitelt sein müssen. In Wirklichkeit seien es im Live-Programm 65% erklärt Mindy Drapsa. Sie hat kürzlich einen Film mit dem Titel „Neu-Schweden“ gedreht, in dem sie Geschichten von Flüchtlingen erzählt. Die Filmemacherin fand, dass man Gehörlose in der Flüchtlingsfrage begleiten und aufklären sollte.

Norwegen

In Norwegen laufen täglich fünf Mal für vier Minuten Nachrichten in Gebärdensprache im Hauptprogramm – und zwar nicht mit Dolmetscher im Bild, sondern direkt in Gebärdensprache präsentiert. Die Präsenz von Gebärdensprache im Fernsehen ist in Norwegen ganz normal. Die Untertitelung im norwegischen öffentlichen Fernsehen beträgt derzeit 85 Prozent. Das Ziel sind 100 Prozent. Den Grund für die starke Verankerung der Gebärdensprache sieht Siri Antonsen im gemeinsamen Einsatz Gehörloser und Hörender für Gebärdensprachliche Programme.

Finnland

In Finnland gibt es täglich Nachrichten in Gebärdensprache im Hauptprogramm. Für  öffentliches Fernsehen ist gesetzlich eine 100%ige Untertitelung verankert.

Schweiz

In der Schweiz gibt es mit „Signes“ ein monatliches Magazin und  aktuell 35 - 40% Untertitel im öffentlichen Fernsehen.

England

In England sind 100% Untertitel das Ziel. Aktuell liegen man hier bei 96%. Bereits seit zehn Jahren ist per Gesetz festgelegt, dass 5 % des Fernsehprogramms in Gebärdensprache sein muss.  Sender, die diese Quote nicht erfüllen, müssen eine Abgabe zahlen. Von diesem Geld werden im Sender BSL-BT Sendungen produziert. Das Ergebnis: Sendungen in große Vielfalt und hoher Qualität. Jetzt ist das Ziel, die Produktionen auch bei den anderen Sendern bekannt zu machen. Besonders die großen Sender sind dabei. Doch da diese sehr auf Einschaltquoten fixiert sind, verlagern sie die Gebärdensprach-Sendungen eher in die Randzeiten des Programms. Und leider nimmt auch die Zahl der Sendungen, die pro Jahr produziert werden, ab: Das Budget für Produktionen für Gehörlose wird von den Programmchefs gekürzt. Terry Riley würde deshalb gerne endlich Gehörlose in Führungspositionen bei den Sendern sehen. Er selbst ist der einzige in England, der bisher so eine Position erreicht hat.

Deutschland

„Sehen statt Hören“ ist das einzige wöchentliche Magazin für Gehörlose im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen. Die Untertitelungsquote in Deutschland liegt derzeit bei 95 % bei der ARD und 71 % beim ZDF.

Fernsehen für Gehörlose – und Hörende?

Eine kontroverse Diskussion auf der Konferenz löste Siri Antonsen vom norwegischen Fernsehen mit der Forderung aus, dass sich Sendungen in Gebärdensprache im Hauptprogramm auch an Hörende richten müssen. In dem Dilemma, ein größeres Publikum ansprechen zu sollen, stecken viele Fernsehmacher. Doch nicht alle glauben daran, dass es der richtige Weg sei, das Programm auch auf Hörende abzustimmen.

"Ich denke, dass Gebärdensprache stark und groß wird, wenn Hörende sie auch im Hauptprogramm wahrnehmen können. Wenn sich aber die Sendungen für Gehörlose nur um Gehörlosen-Themen drehen, dann werden sie für Hörende uninteressant. Dann schauen sie sich andere Sendungen an. Aber wenn Programme in Gebärdensprache sich an Gehörlose und Hörende richten, hat man einen viel größeren Gewinn."

Siri Antonsen vom norwegischen Fernsehen

Terry Riley

"Ich glaube, dass wir uns mit unserem Angebot an die Gehörlosengemeinschaft richten aber trotzdem interessant für hörende Zuschauer bleiben sollten. Über 90% der gehörlosen Kinder haben hörende Eltern; die meisten Professionellen, die mit und für Gehörlose arbeiten sind hörend und in der Regierung sitzen Hörende. Und wir müssen ein positives Bild von uns als Gebärdensprachnutzern vermitteln – wir sind nicht krank, uns fehlt doch nichts! Aber wenn sich unsere Sendungen nur an gehörlose Zuschauer richten, werden wir das Interesse der Hörenden verlieren. Ich glaube, wir müssen offen sein und der Welt zeigen, wie schön unsere Gebärdensprache ist."

Terry Riley vom englischen Fernsehen


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