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No Comment Flüchtlinge erzählen aus ihrem Leben

Sie mussten aus ihrer Heimat fliehen und sind in Deutschland gestrandet. Über Flüchtlinge wird derzeit viel berichtet und diskutiert. Die Menschen selbst kommen nur selten zu Wort. In "puzzle" teilen sie mit uns ihre Geschichte.

Stand: 06.10.2016

Café Blabla in Herrsching; hier treffen sich Menschen mit und ohne Fluchthintergrund | Bild: BR

Für unsere Reihe "No Comment" waren wir in Herrsching am Ammersee unterwegs. Im Café Blabla, einem interkulturellen Café, in dem sich Menschen mit und ohne Fluchthintergrund auf einen Kaffee treffen und austauschen können, dort aber auch gemeinsam arbeiten, haben wir einige Neuankömmlinge und ehrenamtliche Helfer kennengelernt. Wir haben sie gebeten, sich uns anzuvertrauen und uns zu erzählen, was sie bewegt, welche Hoffnungen oder Sorgen sie haben - frei und unkommentiert.

Hier ein kleiner Ausschnitt aus den Erzählungen.

Jawad Ahmadi

"Ich hatte einiges über die Geschichte Deutschlands gehört, die negativen Kapitel. Doch als ich hierher kam, war ich überrascht, ein anderes, 'neues' Deutschland und gute Menschen vorzufinden. In Deutschland habe ich erlebt, was Menschlichkeit bedeutet. Als 2015 viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, sagten die Deutschen: 'Willkommen!' Ungeachtet der Hautfarbe, der Herkunft oder der Sprache der Menschen. Sie sagten einfach: 'Kommt!' In meinen Augen ist Deutschland nicht einfach nur ein Land, sondern eine große Universität, die die Menschen Menschlichkeit lehrt. In Afghanistan lebte ich mit meiner Familie zusammen, jetzt bin ich alleine hier. Es ist sehr schwierig für mich, aber langsam ist es ok ... Ich kann meine Familie nicht herholen, wie sollte ich das auch machen? Viele Leute hier haben mir sehr geholfen und ich habe in Deutschland ein besseres Leben als in Afghanistan. Im nächsten Sommersemester möchte ich weiterstudieren, Wirtschaft, und mein Studium abschließen."

Jawad Ahmadi aus Afghanistan

Ibrahim Siedo

"Seit zwei Jahren lebe ich jetzt in Deutschland. Vor einem Monat konnten endlich meine Frau und meine vier Kinder nachkommen. Wir leben zusammen in einem Zimmer in einem Flüchtlingscamp. Dort auf so engem Raum zu leben, ist sehr schwierig. Seit einem Jahr versuche ich eine Wohnung zu finden und die Papiere dafür zu bekommen. Die Menschen hier sind sehr freundlich zu uns und helfen uns sehr. Doch es gibt hier viel Bürokratie. Seit ich hier bin, muss ich viel, viel warten. Meine Familie ist jetzt seit einem Monat da und wir waren schon sieben Mal mit allen Dokumenten auf dem Landratsamt in Starnberg. Wir sind hingefahren und wurden zurückgeschickt. Ab 5 Uhr morgens habe ich gewartet und wurde weggeschickt. Ich habe Mails geschickt, habe versucht anzurufen - nichts. Warum? Ich bin auch ein Mensch. Ich möchte endlich alle Papiere haben, um eine Wohnung suchen zu können, einen Integrationskurs zu machen und arbeiten zu gehen. Ich möchte nur nicht mehr auf Papiere warten."

Ibrahim Siedo aus Syrien

Salam Karim

"Am 18. Mai 2015 bin ich alleine nach Deutschland gekommen. Ich hatte lange Zeit große Angst um meine Familie, die im Irak zurückbleiben musste, denn der IS ist für Jesiden oder Christen sehr gefährlich. Ein Jahr habe ich gewartet, bis meine Familie letzte Woche endlich zu mir kommen konnte, Gott sei Dank! Alle Christen und Jesiden aus unserem Dorf mussten fliehen, als der IS kam. Denn der IS ist sehr gefährlich. Am 3. August 2014 bin ich mit meiner Familie aus meinem Dorf geflohen. Zwei Tage später, am 5. August, ist mein Sohn gestorben. Wir hatten uns im Wald versteckt und hatten kein Auto, mit dem wir in ein Krankenhaus hätten fahren können. Wir hatten sehr viel Angst. Mein Sohn ist 2005 geboren, er wurde 9 Jahre alt. Ich möchte das nicht noch einmal erleben und ein Kind an den IS verlieren. Zum Glück bin ich jetzt in Deutschland. Ich möchte, dass meine Familie zusammenbleibt und wünsche mir, dass meine Kinder in die Schule gehen, ich und meine Frau auch, damit wir den Kindern helfen können. Sie sollen etwas lernen, vielleicht wird eines der Kinder später Doktor oder Lehrerin oder Krankenschwester."

Salam Karim aus dem Irak

Imam und Soraia aus Afghanistan

"Einen Tag in der Woche ging ich in die Schule, denn bei den Taliban dürfen Kinder nicht in die Schule. Deutschland ist besser als Afghanistan. Hier gibt es keinen Krieg. In Afghanistan schon. In Deutschland kann ich etwas lernen, zum Beispiel schreiben. Ich habe zuerst im Camp in Wesseling gelebt, jetzt im Containerdorf in Herrsching. Es gefällt mir hier, ich habe auch ein paar Freundinnen. Später möchte ich einmal Fotografin werden."

Soraia

"Hier ist es gut. Ich gehe in die Schule und kann etwas lernen. In Afghanistan gibt es ständig Anschläge von den Taliban, dem Militär oder den Amerikanern. Ich möchte später auf dem Bau arbeiten, was genau weiß ich noch nicht. Ich lebe alleine in Herrsching. Mein Bruder (14 Jahre) wohnt in Leipzig und ich habe nur eine Frage: Warum kann mein Bruder nicht hierher zu mir kommen?"

Imam

Nasir Hadii Djamo

"Ich bin ganz alleine nach Deutschland gekommen, ich war damals 16. Im Irak war immer Krieg, Krieg, Krieg. Schon als Kind, mit 10, 12 Jahren, habe ich mir gewünscht, dass ich von diesem Land weggehen kann. Ich bin Jeside und für uns und auch für Christen ist es sehr schwer im Irak zu leben, wegen dem Islam. Früher war Saddam Hussein an der Macht, jetzt, seit er weg ist, sind wir zwischen Kurden und Arabern wie ein Ball. Wir haben dort gar nichts, keine Zukunft, nichts. In den Medien wird zwar gesagt, dass man sich um Jesiden und Christen kümmert und ihnen hilft, aber das stimmt nicht. Ich wollte einfach eine Zukunft haben, so wie alle anderen Menschen - ein ganz normales Leben führen, arbeiten, eine Familie haben, glücklich sein, mehr nicht."

Nasir Hadii Djamo aus dem Irak

Die Mitinitiatoren des "Café Blabla" in Herrsching

"Hier im 'Café Blabla' ist jeder willkommen, egal welche Nationalität, Hautfarbe oder sexuelle Vorliebe. Das vertreten wir und wir sind ein Café für den Frieden. Wir bieten eine Anlaufstelle zum Quatschen. Die meisten Flüchtlinge haben immer nur mit Behörden zu tun oder gehen in Kurse. Im Café Blabla kann man einfach zusammen sein, reden und Fragen stellen. Über die Ämter ärgere ich mich wahnsinnig. Es gibt Leute, die jeden Tag aufs Landratsamt fahren, weil sie wegen allem Möglichen Papiere oder Stempel brauchen. Es kann sein, dass die die ganze Woche nicht drankommen, obwohl sie ab 5 Uhr morgens da sind und warten. Trotzdem werden sie wieder weggeschickt. Ich würde da schon gar nicht mehr hinfahren, das ist entwürdigend."

Silvana Prosperi

"Es ist schön, wenn man von Traumatisierten ein Lächeln bekommt, ein Geschenk und wenn man da offen ist, dann kann man da viel mitnehmen. Ich hoffe, dass die Ämter auch endlich verstehen, dass wir nicht gegen sie arbeiten, sondern für die Menschen. Wir hatten wahnsinnig viele Schwierigkeiten mit Ämtern in der Arbeit mit Flüchtlingen, um ihnen zu helfen. Ich wünsche mir, dass es ein Verständnis für die Arbeit und für Integration gibt. Dass das nicht nur hohle Wörter sind. Dass man den Helfern hilft, den Flüchtlingen zu helfen."

Johanna Neubauer da Luz

"Wenn man diese Schicksale hört, die zum Teil unsäglich sind, dann wird einem auch klar, welch unsägliches Glück wir haben, dass wir rein zufällig in dieses Land, in diese Familie hineingeboren wurden. Wir hätten genauso gut im Nordirak geboren werden können und wir würden die gleichen Verhältnisse vorgefunden haben und Flüchtlinge sein. Das relativiert unser Leben und gibt uns auch diese Verantwortung, was zu tun. Das ist geboren aus der Erfahrung, wir müssen was tun, aber nicht, weil wir so toll sind, sondern weil wir es uns und der Welt schulden."

Claus Wecker

"Das wird einfach immer vergessen, wie viele Länder auch die Türen aufgemacht haben, als aus Nazideutschland geflohen werden musste. Das dürfen wir nicht vergessen."

Silvana Prosperi

Thomas Prosperi, Mitinitiator des "Café Blabla" in Herrsching

Wenn in den Egozentren fern von Brüssels Spitzen
Zunehmend dumpfe Abnabel-Schwaden wabern
Und Patridioten ihren Hass verspritzen
Von Invasion und Überfremdung labern
Dann füllt sich meine Wunschwelt mit Arabern.

Lasst dunkel-schöne Menschen um mich sein
Schön käsig sehe ich mich selber täglich
Ich suche mir ein Völkchen à la Sportverein
Schön bunt und kumpelhaft verträglich
Mit Hintergrund und Lebensart, wenn möglich

Als Nachbarn bitte einen, der Mongolisch quatscht
Von mir aus auch Japanisch oder Syrisch
Doch bitte keinen Nachbarn der Le Pen beklatscht
Das meine ich ganz nüchtern und alyrisch
Die Sorte mag ich nicht einmal satirisch

Weiterführende Informationen

Öffnungszeiten und weitere Infos zum Café Blabla in Herrsching findet man bei Facebook: Cafe Blabla Herrsching

Autorin des Filmbeitrags: Michaela Paul


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