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Burkaverbot Viel Lärm um ein Stück Stoff

Während die Modewelt auf internationalen Laufstegen die "Islamic Fashion", Mode für Muslimas, feiert, empört sich in Deutschland die Politik über ein bestimmtes Kleidungsstück muslimischer Frauen - die Burka.

Stand: 03.11.2016

Blogger und Bloggerinnen demonstrieren im Iran gegen den staatlich verordneten Schleierzwang | Bild: Bernat Añaños, twitter

Bedrohung oder Bagatelle, Zwang oder freie Entscheidung, religiöses oder politisches Symbol -  der Streit um die Burka ist in Deutschland erneut entbrannt und erhitzt die Gemüter. Geht es nach den Innenministern der Union, soll die Vollverschleierung von Frauen nun in Teilen der Öffentlichkeit verboten werden, etwa vor Gericht, in Schulen, Universitäten oder Ämtern. Das steht in der Berliner Erklärung, einem Maßnahmenpaket zur Verbesserung der inneren Sicherheit, das im August verabschiedet wurde und das Bayern noch bis Ende des Jahres umsetzen will.

"In der CDU sind wir uns einig: Vollverschleierung ist das Gegenteil von Integration. Wir lehnen sie ab, sie passt nicht zu unserem Land."

Peter Tauber, CDU-Generalsekretär

"Vollverschleierung ist mit der Art, wie Menschen sich in Deutschland begegnen, nicht vereinbar."

Joachim Hermann, CSU, Innenminister Bayern

Diskussion um Burka - ein existentes Problem ...

Doch kann ein Burkaverbot die innere Sicherheit in Deutschland verbessern und ist ein bundesweites Burkaverbot sinnvoll? Nein, sagt Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin, Lehrerin und Buchautorin. Man könne eine Gefahr für Land und Gesellschaft nicht an äußerlichen Merkmalen ausmachen.

"Für 200 bis 300 Frauen, die vielleicht eine Ganzkörperverschleierung tragen, also eine Burka - dafür brauchen wir kein eigenes Gesetz, ich halte das für unverhältnismäßig. Was wir damit eher erreichen, ist, dass wir ein Stück weit wieder unser Augenmerk auf diese eine Gruppe richten und wieder mit einem Stück Zuschreibungen hantieren: Kopftücher oder Ganzköperverschleierung, das könnte eine Gefahr oder störend für unsere Gesellschaft sein, deswegen brauchen wir ein Verbot. Es ist nicht gut, wenn man mit innenpolitischen Zusammenhängen die Themen diskutiert."

Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin, Lehrerin und Buchautorin

Die Debatte schüre Ressentiments. Themen wie das Burkaverbot würden häufig dann diskutiert, wenn es kurz zuvor ein Problem mit Islamismus oder Terrorismus gegeben habe, sagt Kaddor. Prompt folge die nächste Forderung und als Konsequenz häufig ein Verbot. Jedenfalls sei das ein oft zu beobachtender Mechanismus. Dieser gehöre durchbrochen, weil er für die Gesellschaft schädlich sei.

... oder eine Phantomdebatte, die ablenkt und Ängste schürt?

Auch Bloggerin und Studentin Merve Kayikci sieht die Vermischung der Debatte um ein Bukaverbot im Kontext der Verbesserung der inneren Sicherheit kritisch.  

"Bei der Berliner Erklärung wurde ja nicht nur das Burkaverbot diskutiert, sondern auch Vorratsdatenspeicherung, was der Bundesnachrichtendienst darf. Aber worauf sich die meisten konzentrieren, ist eben Burka, weil das plakativ ist, Ängste auslöst und die meisten darüber nichts wissen und die denken: Islamgefahr, Terror, Islamgefahr - ja, für die Sicherheit sollen sie alles machen, was sie wollen und keiner protestiert."

Merve Kayikci, Studentin und Bloggerin 'primamuslima'

Ist die Diskussion um die Burka tatsächlich nur eine Phantomdebatte, die Ängste schürt? Geht man von der geschätzten Zahl von 300 Burkaträgerinnen bei rund 4 Millionen Muslimen in Deutschland aus, so erscheint das Burkaverbot grotesk. Dass nur eine verschwindend geringe Anzahl von Muslimas die Burka trägt, ist für Lamya Kaddor nicht verwunderlich.

Burka - kein religiöses Gebot

Die Vollverschleierung sei kein islamisches Gebot. Weder stehe eine Aufforderung dazu im Koran, noch sei es von der islamisch klassischen Theologie gewollt, dass sich Frauen sogar ihr Gesicht verschleierten. Das machten Frauen, weil sie meinten, dass das zu ihrem Islamverständnis dazugehöre.

"Was das Kopftuch betrifft, ich trage keines, weil ich persönlich der Überzeugung bin, dass es nicht mehr die zwei wesentlichen Funktionen hat, die der Koran aufgreift. Erstens, eine Schutzfunktion und zweitens das Erkennungsmerkmal. Diese beiden Funktionen passen für mein Hier und Jetzt nicht. Würde ich woanders leben, in einer anderen Gesellschaft, müsste ich die Frage nochmals ganz anderes für mich beantworten."

Lamya Kaddor

Burkaträgerin aus freien Stücken ...

Merve Kayikci, die auf ihrem Blog über das Muslima-Sein in Deutschland schreibt, hat schon einmal einen Niqab getragen, einen Vollschleier, der die Augen frei lässt. Allerding nicht in Deutschland, sondern in Ägypten und aus purer Neugierde. Statt nur über die Frauen zu reden, die eine Burka tragen, wollte sie wissen, wie es sich anfühlt selbst komplett verschleiert zu sein.

"In Ägypten, wo es warm ist, war es sogar sehr bequem. Unter der Burka oder im Niqab kann man auch einfach nur Unterwäsche tragen und damit herumlaufen, es sieht ja keiner. In Ägypten war es einfach normal, sich damit in der Gesellschaft zu bewegen. Du fällst nicht auf, keiner schaut dich an, weil es einfach so normal ist."

Merve Kayikci

In Deutschland kommt das Tragen einer Burka oder eines Niqab für sie nicht infrage. Hier falle man selbst mit Kopftuch auf. Abgesehen davon passe der Vollschleier weder zu ihrem Lebensstil, noch könne er ein Ausdruck ihrer persönlichen Freiheit sein, sagt Kayikci. Es gebe viele Gründe für Frauen, den Vollschleier anzulegen, häufig sei das Tragen auch kontextabhängig.

"Es gibt Burka- oder Niqabträgerinnen, die sich sehr mit der Religion des Islam auseinandersetzen und so sehr in dem Kreis drinnen sind, dass sie immer mehr leisten wollen, vielleicht wollen sie sich und anderen auch was beweisen. Es hat auch eine Art Uniformcharakter, womit man zeigt, ich gehöre dazu, ich schaffe das, ich gehöre zu den Leuten, die das machen ..."

Merve Kayikci

... und unter Zwang

Anders als Merve Kayikci können nicht alle Frauen den Schleier aus freien Stücken an- und ablegen. Saudi Arabien, Iran, Sudan, Afghanistan - vor allem in fundamentalistischen Staaten ist der Ganzkörperschleier für Frauen Gesetz oder zumindest soziale Pflicht. In Syrien und im Irak zwingt die Terrormiliz "Islamischer Staat" Frauen unter das Tuch, entpersonalisiert sie, macht sie zu Menschen zweiter Klasse und die Burka zur Uniform der unterdrückten, verachteten Frau. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit, argumentieren Politiker.

"Wer Frauen ihr Gesicht nimmt, der nimmt ihnen die Würde. Da geht es nicht um die Anzahl, sondern um die Grundsätzliche Haltung und Wahrnehmung."

Ludwig Spaenle, CSU, Kultusminister Bayern

Werden auch in Deutschland Burkaträgerinnen gezwungen?

Ein Verbot also zur Befreiung der Frau? Syrerinnen verbrannten nach dem Abzug des Islamischen Staates aus der Stadt Manbidsch ihren Schleier als Zeichen ihrer Freiheit. Im Iran demonstrieren Männer und Frauen gegen die staatlich aufgezwungene Verschleierung. Doch trifft der Burkazwang auch auf Burkaträgerinnen in Deutschland zu? Was wissen wir über sie?  

"Wir wissen, dass viele ganzkörperverschleierte Frauen Konvertitinnen sind. Das sind keine Frauen, die wirklich dazu gezwungen werden, oder vom Ehemann, oder eines konservativen Traditionsverständnisses, das dahintersteckt, das sind freie Entscheidungen. Weil es eben deutsch-deutsche Frauen sind, die hier sozialisiert worden sind, großgeworden sind und frei entscheiden können. Wenn wir jetzt sagen wir wollen ein Burkaverbot auf den Weg bringen, um diese Frauen zu befreien, ist das geradezu widersprüchlich, weil wir sie nicht befreien, sondern wir zwingen sie, etwas abzusetzen, wozu sie sich frei entschieden haben."

Lamya Kaddor

Lässt sich Zwang mit Zwang bekämpfen?

Selbst jene, die in Deutschland den Vollschleier unter Zwang tragen müssen - Freiheit und Gleichberechtigung lassen sich kaum durch ein Verbot erzwingen. Es sei geradezu widersprüchlich zu behaupten, wir seien gegen die Unterdrückung der Frau, würden aber gleichzeitig Frauen verbieten oder vorschreiben, was sie zu tragen oder nicht zu tragen habe, sagt Kayikci. Das habe mit Feminismus nichts mehr zu tun.

Statt unterdrückten Frauen zur Freiheit zu verhelfen, würde ein Verbot Burkaträgerinnen weiter isolieren und sie vom gesellschaftlichen Leben gänzlich ausgrenzen. Denn dass sie wegen eines Verbotes den Schleier plötzlich ablegen, ist kaum anzunehmen. Wie wenig ein Schleierverbot bewirkt, zeigt auch der Blick nach Frankreich. Seit fünf Jahren ist die Burka dort zwar verboten, die Zahl der Burkaträgerinnen ist aber gleich geblieben.

Doch die Politik hat Bedenken.

"Vollverschleierung ist ein großes Hindernis bei der Integration."

Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin

Worüber müssen wir eigentlich reden?

Doch Integration lässt sich wohl kaum an der Kleidung messen.
Am Ende bleibt die Frage: sollten wir, um unsere freie Gesellschaftsordnung zu bewahren, nicht über etwas anderes diskutieren als über ein gesetzliches Burkaverbot samt seiner aufgebauschten Debatte?

"Wir müssten über Freiheit diskutieren und nicht nur über Freiheit, sondern auch  darüber, was sie uns bedeutet. Ich denke, dass Freiheit ein sehr hohes Gut ist, das mir vielleicht sogar wichtiger ist als es im Islam allgemein eine Bedeutung hat."

Merve Kayikci

"Wir müssen unser feines Schweigen brechen. Ich glaube, dass viele Menschen glauben, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie ist ein Selbstläufer. Es ist kein Selbstläufer. Wir müssen uns jeden Tag dafür einsetzen, auch dafür, dass wir eine offene, plurale Gesellschaft sind."

Lamya Kaddor

Weiterführende Informationen

Blog von Merve Kayikci: primamuslima.de

Buchtipp:
Lamya Kaddor
"Die Zerreißprobe - Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht"
Rowohlt Verlag, 14,99 Euro

Autorin des Filmbeitrags: Michaela Paul


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