BR Fernsehen - nachbarn


15

"Es ist auch unsere Geschichte" Polen und Deutsche in Pommern

Deutsche und Polen teilen ein ähnliches Schicksal, beide mussten ihre Heimat verlassen. Was die Erlebnisgeneration - zunächst von deutscher Seite - behutsam an Kontakten aufgebaut hat, wuchs im vergangenen Jahrzehnt langsam zu freundschaftlicher gegenseitiger Beziehung.

Von: Barbara Mai

Stand: 13.09.2015 | Archiv

Ein Strand an der Ostsee mit Spaziergängern | Bild: BR

Endloser Sandstrand – steife Brise aus Nordost. Überbleibsel einer Jahrhunderte alten Architektur: zahlreiche Seen, die die Eiszeit hinterlassen hat und duftende Rapsfelder, die oft bis zum Horizont reichen – oder auch nur bis zur nächsten Allee. All das ist Pommern oder Pomorze, wie das Land an der Ostsee seit 1945 heißt.

Treptow / Trzebiatow

Treptow oder Trzebiatow an der Rega, an deren Oberlauf auch das Städtchen Labes liegt. Dort lebt die Familie Woniak seit vielen Jahren. Vater Marek und Tochter Katarzyna verbringen oft ihre Freizeit in der landschaftlich reizvollen Umgebung.

Vertriebene auf beiden Seiten

Katarzyna Woniak

Katarzyna hat in Posen und Augsburg Geschichte studiert. Sie wollte wissen, warum ihr Großvater, der aus dem ukrainischen Lemberg stammt, in Pommern gelandet ist, ihre Familie in einem Haus lebt, das bis 1945 Deutschen gehörte. Die Geschichte ihrer Familie ähnelt der vieler junger Deutscher, deren Großeltern vor langer Zeit die geliebte Heimat verlassen und in fremder Umgebung neu anfangen mussten – Vertreibungsschicksale.

In dieser Landschaft ist Katarzyna tief verwurzelt, aber das Erlebte der Vertriebenen auf deutscher wie auf polnischer Seite rückte immer mehr in den Fokus ihrer wissenschaftlichen Arbeit.

Die Kösliner Marienkirche – nur noch hier und an ihrer Frontseite stehen Häuser, die den Krieg überstanden haben – der übrige Marktplatz hat keine Ähnlichkeit mit seinem Jahrhunderte alten Gesicht.

Ein Zeitzeuge in Pommern

Sieghard Rost

Vor dem Krieg machte Sieghard Rost hier sein Abitur. Der fast 90-jährige ehemalige Oberstudiendirektor und bayerische Politiker fühlt sich seiner Heimat eng verbunden. Er erinnert sich an seine Schulzeit in Köslin.

Vor der Niederlassung der ehemals Pommerschen Bank diskutiert Sieghard Rost mit Katarzyna Woinak, die ihn in Köslin begleitet, über die Inschrift am Gebäude, die missverständlich ist.

Die vielen Marienkirchen in Pommern behielten auch nach der Reformation ihren Namen – so wie hier die Kösliner: Im Inneren der beeindruckenden Kathedrale gibt es im Altarraum ein Kirchenfenster mit der Abbildung von Martin Luther. Der Reformator hat Krieg, Konfessionswechsel und den Kommunismus überstanden. Bilder aus der Vergangenheit werden für Sieghard Rost wieder lebendig: Zu den schönen Erinnerungen gehören auch die Sommerferien an der nahen Ostsee. Sieghard Rost radelte mit seinem Vater an die Küste, die Mutter kam mit der Straßenbahn – die Köslin mit Großmöllen verband – hinterher.

Das Land am Meer

Glückliche Jugendjahre an der Ostsee mit dem typischen Salzgeschmack des Seewindes auf der Zunge und dem warmen, weichen Sand zwischen den Zehen. Es gibt wohl keinen, der im "Land am Meer", in Pommern geboren wurde, der den Himmel über der Küste je vergessen würde.

Stadtpräsident Janusz Gromek

Der Hafen von Kolberg – er wird zunehmend wichtig für den Tourismus: Von hier aus starten die Fähren nach Skandinavien. In dieser Stadt, die nun Kolobrzeg heißt, hat es eine Entwicklung in den deutsch-polnischen Beziehungen gegeben, die unberührt von der Tagespolitik zwischen Berlin und Warschau blieb: ein engagiertes Miteinander auf persönlicher Ebene. Den Hintergrund erklärt der Rathauschef.

Spezielle deutsch-polnische Beziehungen

"Was wir hier in Pommern und natürlich in Kolberg sehen, gäbe es so nicht, wenn die Deutschen nicht dazu beigetragen hätten. Selbstverständlich haben wir Städtepartnerschaften und Kooperationen, wie zum Beispiel mit Pankow und anderen Orten in Deutschland. Es sind aber vor allem die engagierten Personen, Freunde und die kollegialen Verbindungen, die uns helfen. Herr Lubawinski, der ehemalige Bezirksbürgermeister von Pankow, oder Herr Schroeder aus Bayern haben viel mitgeholfen."

Janusz Gromek, Stadtpräsident

Eine Versöhnungsstätte

Das Lapidarium wurde im Jahr 2000 auf dem Gelände des ehemaligen kommunalen Friedhofs errichtet. Ernst Schroeder, der Vorsitzende der pommerschen Landsmannschaft in Bayern begleitet seinen Freund Zenon Stein. Er hatte sich sehr für diese Versöhnungsstätte eingesetzt. Zenon Stein, ein Jude aus Ostpolen, gedenkt der verstorbenen Kolberger.

Überall dort, wo in den Vertreibungsgebieten Polen, Ukrainer oder Weißrussen angesiedelt wurden, ist die Verständigungsbereitschaft mit den deutschen Vertriebenen groß.

Die Identitätssuche, das Leben in einer fremden Umgebung, die durch den Krieg zusammengebrochenen Strukturen, all das haben die Vertriebenen auf beiden Seiten erlebt. Die älteren Menschen in Kolobrzeg haben es geschafft, die Jungen sind hineingewachsen.
Das zu über 80 Prozent zerstörte Kolberg ist wieder aufgebaut – anders, als es einmal war – aber dem Charakter der alten Hansestadt nachempfunden. Die Marienkirche hat ihr altes Gesicht wiederbekommen.

Die Marienkirche von Kolberg

Marienkirche

Die Rekonstruktion des wuchtigen Gotteshauses, das im Krieg stark zerstört war, ist eine Meisterleistung. Rund 300 Jahre nach der Gründung des Erzbistums Gnesen im Jahr 1000, zu dem auch Kolberg gehörte, wurde mit dem Bau der Marienbasilika begonnen. Das Denkmal vor dem Hauptportal mit den Figuren von Otto III. und Boleslaw Chrobry, sowie den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. erinnert an die Gründung, allerdings ohne zu erwähnen, dass das Erzbistum Gnesen direkt dem Papst unterstellt war.

500 Kilometer Sandstrand

Rund 500 Kilometer ziehen sich die feinen Sandstrände Pommerns von Swinemünde im Westen bis zu den Dünen am Leba-See im Osten. Strände, wo der Erholung Suchende selbst im Hochsommer ein einsames Plätzchen findet. Eine Schönwettergarantie gibt es an der "Badewanne" des Nordens leider nicht. Die Sommer können schön und warm sein, aber auch verregnet.

Die größte der Wanderdünen im Slowinski-Nationalpark ist die Lontzkedüne, die eine Höhe von 42 Metern erreicht – sie gehört zu den so genannten großen "Wollsäcken" und bewegt sich durch die stetigen Westwinde bis zu zehn, zwölf Meter im Jahr ostwärts.

In den Auwiesen finden Störche reichlich Nahrung, auf unzähligen Strommasten nisten sie und verkünden in der Balzzeit den nahen Sommer. Etliche Alleen führen direkt zu den alten Herrenhäusern, die es zahlreich in Pommern gab und bis heute noch gibt.

Katarzyna Woniak begleitet Ernst Schroeder, der einmal mehr eines der Herrenhäuser seiner Familie besucht. Obwohl das ehemalige Gut eigentlich nur aus Ruinen besteht, hängt sein Herz auf eine gewisse Weise daran. Ernst Schroeder stammt aus einer sehr alten pommerschen Familie, hat aber keine Erinnerungen an die Heimat der Vorfahren. Er gehört zu der Generation der Vertriebenen, die erst spät angefangen hat, nach den Wurzeln seiner Familie zu suchen. Im Internet hat er fast alles gefunden, aber erst nach der Wende in Polen, fing er an, häufig in die alte Heimat zu reisen.

Naturparadies Pommern

Pommern hat so viele reizvolle Orte zu bieten, aber – man muss sie finden und auch zügig erreichen können. Einer der Waldseen im südlichen Pommern: Sein Wasser ist sauber und fischreich. Die umgebenden Wälder sorgen für Ruhe und gute Luft. Aber, für die Zufahrt braucht man einen Geländewagen. Und wie kommt man überhaupt in diese abgelegene Gegend? Von Berlin aus braucht man über die polnischen Landstraßen mindestens drei Stunden.

Den jungen Menschen beider Länder gehört die Zukunft, daran wird auch der gelegentlich unsensible Umgang zwischen Berlin und Warschau wenig ändern. Eine Verständigungsbereitschaft ist in weiten Teilen Polens vorhanden. Der persönliche Einsatz von deutschen Vertriebenen aus Pommern, aber auch aus Schlesien und Ostpreußen hat dazu beigetragen.

Die Alten haben der Jugend eine gemeinsame Zukunft in einem gemeinsamen Europa ermöglicht. Und die Verbundenheit zur Heimat trägt jeder im Herzen – auch in einer globalen Welt.

(Wiederholung vom 29. Mai 2011 - Dieser Text ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Version des Sendungsmanuskripts, das Sie hier unten auch vollständig herunterladen können.)

Beitragstext Format: PDF Größe: 36,41 KB


15