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Ukraine Saakaschwili als Anti-Korruptionskämpfer

Manch einer darf da bauen, wo andere nie eine Baugenehmigung bekämen. Laut Gesetz muss der Zugang zum Ufer frei sein. Doch der schwerreiche Sergey Kivalov hat die Behörden bestochen.

Von: Ralph-Jürgen Schoenheinz

Stand: 24.01.2016 | Archiv

Ukrainische Geldscheine | Bild: BR

Harry-Potter-Haus nennen die Bewohner von Odessa die Villa am Strand. Aktivisten haben sich in Kivalovs Haus heimlich umgesehen. Oder hier, wieder Korruption: das 16. Stockwerk wird gerade aufgesetzt. Dabei sind in der Innenstadt von Odessa nur sieben Stockwerke erlaubt. Die Stadtverwaltung hat sich vom privaten Auftraggeber bestechen lassen. In der Ukraine richtet sich die Realität oft nicht nach dem Gesetz, sondern danach, wer wie viel bezahlt. Die Hafenstadt Odessa gilt als die korrupteste Stadt der Ukraine.

"Schmiergeld? Ja, natürlich, nicht nur einmal. Bei Lehranstalten, wo mein Sohn gelernt hat, an der Universität, da haben wir ständig bezahlt. Vor kurzem bin ich im Krankenhaus operiert worden. Da habe ich auch Schmiergeld bezahlt. Bei uns ist es die Norm, zu zahlen. Unsere Denkweise hat sich schon verändert. Wir wissen gar nicht, wie man anders leben könnte."

Ludmilla

"Ja, Schmiergeld, aber das ist doch keine Korruption. Korruption, das ist etwas ganz anderes. Korruption, das betrifft nur Beamte und das große Geld."

Ivan

Abgesehen vom Krieg in der Ostukraine ist die Bekämpfung der Korruption derzeit das große Thema im Land. Ganz besonders aktiv, dieser Mann: Micheil Saakaschwili, früher Präsident von Georgien, dort angeklagt wegen zu diktatorischem Gehabe und jetzt vom ukrainischen Präsidenten ernannt zum Gouverneur des Gebietes von Odessa.

Micheil Saakaschwili

Er ist viel unterwegs, zeigt gern Journalisten, was er schon gegen Korruption geschafft hat.

"Der Hauptgrund, warum das System weiter funktioniert ist, dass die Leute sagen: 'Wir haben nichts anderes gesehen, nichts kennenlernt. Jeder verspricht nur was und tut dann aber nichts. Wieso sollen wir ihnen glauben?'"

Micheil Saakaschwili, Gouverneur des Gebiets Odessa

Ein Grund ihm zu glauben: die Straßenpolizisten. Saakaschwili hat sie fast ausnahmslos austauschen lassen: Neue Gesichter, neue Uniformen, immer zu dritt, statt zu zweit, wie früher. Eine Polizei als Freund und Helfer, bei der man sich sogar beschweren kann. Bei Vera ist das Licht in der Wohnung ausgefallen.

"Nein, der Versorger hat den Strom nicht angeschlossen. Ich sitze ohne Strom da und sie weigern sich einfach."

Vera

"Ich denke, es rufen mehr Leute die Polizei an. Im Vergleich zu früher haben die Leute jetzt mehr Vertrauen zur Polizei. Früher haben sie nicht angerufen, weil sie dachten, dass wir nicht kommen und nicht reagieren. Jetzt kommen wir immer und reden auch mit den Leuten."

Polizist Artiom

Schon von weitem sichtbar fahren sie immer mit Blaulicht, kassieren Strafen nur noch gegen Quittung ohne Schmiergeld. Alles soll transparent sein.

Alexey Litovchenko

Transparenz auch hier, im nagelneuen Bürgerzentrum. Vom Pass oder Führerschein bis zur Geburtsurkunde lässt sich hier alles – so wird garantiert – mit höchstens 30 Minuten Wartezeit beantragen: Alexey Litovchenko hat beim Kampf um den Flughafen in Donetzk das linke Bein verloren. Jetzt möchte er einen Schwerbehindertenausweis beantragen. Bevor er hierher kam, hatte man ihn zu vielen verschiedenen Stellen geschickt. Der alte Trick der Stadtverwaltung: möglichst viele Unterschriften, um jedes Mal Schmiergeld zu kassieren.

"Egal, wohin man kommt, der Beamte schickt dich weiter. Man sagt mir: gehe dahin, gehe dorthin. Wie soll ich das mit dem fehlenden Bein schaffen? Und hierher in das Zentrum komme ich, und man bietet mir Tee, Kaffee und Wasser an und es werden für mich alle Papiere erledigt."

Alexey Litovchenko, Leutnant der ukrainischen Armee

Solches Lob von der Bevölkerung freut den jungen Chef des Bürgerzentrums. Für den Manager war es eine völlig neue Aufgabe:

"Es war schwierig, aber auch sehr interessant – etwas ganz Neues für das ganze Land. Ein großes Beispiel für qualitativ beste Dienstleistungen, für Schnelligkeit und für Transparenz. Schauen Sie: keine Wände, keine abgetrennten Büros, alles durchsichtig. Überall Videokameras. Wenn Leute Schokolade als Dankeschön überreichen wollen, da nehmen die Mitarbeiter die Hände hoch und berühren die Schokolade gar nicht. Dazu sind die Mitarbeiter geschult."

Artur Amirov, Leiter des Public Services Center, Odessa

Ähnliches schuf Micheil Saakaschwili schon in Georgien. Die jahrzehntelange Erfahrung im Kampf gegen bestechliche Bürokratie kommt ihm jetzt zugute. Nun, nachdem er in Georgien vertrieben wurde und unter Anklage steht, versucht er es hier in der Ukraine. So mancher wittert, dass es ihm als Freund Poroschenkos nur um eine neue Karriere geht.

"Ich glaube, das ist nur PR. Er ist ja noch nicht lange Gouverneur hier. Da wird man dann in Kiew sagen: ‚Ach so ein Guter!‘ und ihn zum Premierminister wählen."

Ivan

Saakaschwili mag eigene politische Ziele verfolgen, aber er hat den Kampf gegen Korruption in Odessa in Gang gebracht, so auch hier vor dem Berufungsgericht: Während oben verhandelt wird, lassen protestierende Aktivisten verschiedener Nichtregierungsorganisationen unten ein Video laufen, aufgenommen mit versteckter Kamera vom ukrainischen Geheimdienst. Früher undenkbar, dass der offizielle Geheimdienst auf den Hinweis von Aktivisten solche Aufnahmen macht: Zu sehen ist der entscheidende Moment, in dem ein Beamter des Verteidigungsministeriums von einem privaten Geschäftsmann 2000 Dollar Schmiergeld annimmt. Viele wollen sich so etwas nicht mehr gefallen lassen.

"Heute findet der Prozess statt gegen den Mann, der das Schmiergeld annahm. Es besteht die Gefahr, dass die Kaution herabgesetzt wird und er so auf freien Fuß kommt. Wir wollen das verhindern."

Alexander, Mitglied der Selbstverteidigung Odessa

Korruptionsprozesse verlaufen in der Ukraine oft im Sand, weil die Staatsanwälte selbst bestochen sind. Seit vier Tagen demonstrieren junge Frauen eines selbsternannten "Antikorruptionskomitees" vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft und machen Bürgern Mut, öffentlich über ihre Gerichtsprozesse zu reden.

"Sie wissen doch, wie das bei uns ist. Das ist nicht so einfach. Nein, wir haben Angst zu reden."

Ein Mann

"Je mehr ihr Angst habt, umso schlimmer wird es."

Olga Grudinkina, Aktivistin

Die mutigen Frauen fordern neue Staatsanwälte. Aber sie spüren den Gegenwind des alten Systems, den Gegenwind, der auch das Bürgerzentrum erreicht hat. Leiter Artur Amirov gibt eine Pressekonferenz, weil die Stadtverwaltung den Angestellten das Gehalt von bisher 120 auf nur noch umgerechnet 80 Euro im Monat kürzen will. Der Bürgermeister von Odessa wolle damit das neue Zentrum zum Schließen zwingen. Dahinter steht ein Kampf um Schmiergeld. – Krisenstimmung bei den Angestellten:

"Ja, wir haben Angst, die Arbeit zu verlieren. Dabei lieben wir das Zentrum. Wir sind hierher gekommen mit dem Wunsch, die Situation im Land ein wenig zu verbessern."

Olga Chmelnizkaja, Mitarbeiterin beim Public Services Center, Odessa

Wenn hier wirklich alles ohne Schmiergeld läuft, könnte der Bürger vielleicht auf die Idee kommen, auch woanders kein Schmiergeld mehr zu bezahlen. Die alte Macht hat die Gefahr erkannt.


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