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Tschechien Land ohne Flüchtlinge

Wenn Yauhen Sumouski abends von der Arbeit heimkommt, braucht er zumindest keine Angst mehr zu haben. Zusammen mit seiner Frau Hanna lebt er seit ein paar Monaten in der kleinen Einzimmerwohnung in Prag.

Von: Bernhard Ebner

Stand: 22.02.2015 | Archiv

Ein Flüchtlingsheim | Bild: BR

Yauhen Sumouski und Hanna Sharypa

Die beiden haben in Tschechien Asyl bekommen. 2012 mussten sie aus Weißrussland fliehen, nachdem ihre Freunde dort verhaftet wurden. Sie gehörten zu einer Oppositionsgruppe gegen den Diktator Lukaschenko. Warum flohen sie gerade nach Tschechien?

"Es war totaler Zufall. Wir mussten so schnell wie möglich über die Grenze, egal wohin, hauptsächlich schnell weg. Die Tschechische Republik hat uns sofort das Visum gegeben und deshalb sind wir hier."

Yauhen Sumouski und Hanna Sharypa

Es war allerdings nur ein Touristenvisum. 12 Monate dauerte es dann, bis ihr Asylantrag genehmigt wurde und sie aus dem abgelegenen Flüchtlingsheim in Kostelec nad Orlici, nahe der polnischen Grenze, herausgekommen sind.

In der ehemaligen Kaserne mussten sie abwarten, bis über ihren Asylantrag entschieden wurde. Etwa 275 Flüchtlinge leben derzeit in dem Aufnahmelager der kleinen Stadt. Gut noch einmal so viele in einem zweiten Lager bei Brünn und einigen kleineren Heimen. 800 bis 1000 Flüchtlinge nimmt Tschechien im Jahr auf, mehr nicht.

"Aktuell kann man ganz allgemein sagen, dass außer Australien und Amerika alle Kontinente vertreten sind. Aber immer noch kommen die meisten Klienten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion."

Ivana Vyhnalkova, Heimleiterin

Martin Rozumek

Vor allem aus Weißrussland und der Ukraine. Die wenigen, die in Tschechien Asyl beantragen, landen meist bei OPU, einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge. Sie haben einen langen und steinigen Weg vor sich. Deshalb scheuen viele davor zurück in Tschechien einen Asylantrag zu stellen.

"Ach, die Tschechische Republik ist eine Insel in Zentraleuropa. Also, fast keine Flüchtlinge kommen nach Tschechien und alle möchten weiter gehen. Also die Leute bleiben nicht hier. Die möchten weiter fahren nach Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich und so weiter."

Martin Rozumek, OPU Flüchtlingshilfe

Anastasya Kamysh

Viele fürchten auch die lange Asylverfahrensdauer in Tschechien: 13 Jahre währte das längste. Da hatte Anastasya Kamysh sogar noch Glück. Sie und ihr inzwischen verstorbener Mann mussten nur vier Jahre darauf warten, nachdem sie auf der Flucht vor Lukaschenko ebenfalls mit einem Touristenvisum aus Weißrussland geflohen waren.

"Es war schwer, bis wir das Asyl bekommen haben. Dann waren wir glücklich."

Anastasya Kamysh

Doch in der Zeit dazwischen mussten sie immer befürchten nach Weißrussland zurückgeschickt zu werden. Die Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe kennen diese Befürchtung zur Genüge. Sie wissen, dass es sie in vielen europäischen Ländern gibt. Nur, in Tschechien sei dieses Vorgehen Absicht.

"Das ist klar, das funktioniert so."

Martin Rozumek, OPU Flüchtlingshilfe

"Also es ihnen hier schwer machen, damit sie gar nicht erst versuchen in Tschechien Asyl zu bekommen?"

Reporterfrage

"Ja, dass die von Anfang an wissen, dass Tschechien nicht das Land für Flüchtlinge ist."

Martin Rozumek

Vladimir Repka

Deutschland und einige andere EU-Staaten fordern Tschechien deshalb seit Monaten auf, seine Flüchtlingspolitik zu ändern. Sie wollen für Flüchtlinge Quoten einführen, nach denen sie fair auf die Mitgliedsstaaten der EU verteilt werden. Im tschechischen Innenministerium lehnt man dieses Ansinnen geradezu zynisch ab.

"Wir meinen, diese Lösung, die Europa vorgeschlagen hat, ist nicht systematisch und konzeptlos. Das bedeutet, wir gehen davon aus, dass, wenn die Asylbewerber irgendwo um Asyl bitten, wir das dann als ihre freie Entscheidung akzeptieren müssen, wo sie wohnen wollen."

Vladimir Repka, Sprecher Tschechisches Innenministerium

Im November 2014 schlug der tschechische Innenminister vor, die Bevölkerung in einem Referendum darüber abstimmen zu lassen, ob mehr Flüchtlinge aufgenommen werden sollen. Das Referendum wurde aber schnell wieder abgesagt. Laut OPU hätten sich wohl gut 90 Prozent der Tschechen dagegen ausgesprochen.

"Ich denke, die tschechischen Politiker wissen einfach, dass die Leute gegen Ausländer sind, gegen Flüchtlinge. Die haben Angst vor Leuten mit islamischem Hintergrund. Also, ich denke, die machen ihre Arbeit gut, weil die sagen, was die Mehrheit hier in Tschechien will."

Martin Rozumek, OPU Flüchtlingshilfe

Als Grund für die Weigerung mehr Flüchtlinge auf zu nehmen, nannte die tschechische Regierung die Befürchtung, dass sich unter den Bürgerkriegsflüchtlingen, vor allem aus Syrien und dem Irak, auch Islamisten befinden könnten. Man wisse ja nicht, wer da komme. Stattdessen wolle man lieber in den Nachbarländern der Krisenstaaten helfen.

"Dafür haben wir mehrere Möglichkeiten. Diese Woche wird die Regierung über eine mehrstufige Hilfe für Flüchtlinge aber auch für die Nachbarländer, die sie aufgenommen haben, entscheiden. Die Hilfe umfasst unsere Unterstützung bei der materiellen Ausrüstung. Als weitere Hilfe werden wir in der Tschechischen Republik 15 Kinder mitsamt ihren Familien aufnehmen und sie hier leben lassen."

Vladimir Repka, Sprecher Tschechisches Innenministerium

15 Kinder mitsamt ihren Familien. Angesichts hunderttausender, die nach Schätzung der EU auch heuer wieder nach Europa kommen, eine geradezu lächerlich kleine Anzahl. Damit lässt Tschechien die Hoffnung auf ein gemeinsames Vorgehen in der europäischen Flüchtlingspolitik platzen.


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