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Ukraine Flüchtlinge im eigenen Land

Seit drei Jahren hilft Olexander Voroshkov Menschen, die aus den Separatistengebieten vor dem Krieg hierher auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet flüchteten.

Von: Ralph-Jürgen Schönheinz

Stand: 17.09.2017 | Archiv

Eine Flüchtlingsfamilie | Bild: BR

Unermüdlich bis in die Nacht ist er unterwegs, besucht sie hier in Kramatorsk: "Da vorne ist ihr Haus." Sie wollen nicht, dass wir ihre Nachnamen nennen, aus Angst vor Repressalien durch die Separatisten. Oleksander heitert sie auf: "Oh, eine schöne Katze mit Flüchtlingsschicksal, ein Flüchtlingskätzchen!"

Mutter Oxana liebt traditionelle ukrainische Kreuzstickerei. Vor drei Jahren flüchtete sie mit der Familie aus Yasynuvata, nur 60 Kilometer von hier. Das Haus steht noch: "Die Seele sehnt sich zurück. Es ist so schwer, auf Koffern und Kisten sitzend hier zu leben. Die Stickerei ist eine Art Heilmittel für mich. Wir können dorthin zurückkehren. Doch die Leute dort, die sehen uns als Abtrünnige, die sich in Sicherheit gebracht haben, in Ruhe und Wärme, während dort in Yasynuvata Bomben explodieren. Da halten sie uns für Verräter."

Tochter Marina hat hier längst Arbeit und neue Freunde gefunden: "Ich werde niemals zurückkehren. Ich habe dort gar nichts mehr verloren."

Olexander Voroshkov

Besonders Ende 2014 flohen die Menschen zu tausenden vor den Bomben und Granaten hierher nach Kramatorsk. Viele ließen alles zurück, auch die Papiere. Neue Ausweise beschaffen hier beim Migrationsdienst erfordert eine Engelsgeduld: jeden Tag muss jeder in der Warteschlange seine Anwesenheit bestätigen. Und immer wieder Diskussionen um die Warteliste. Tatjana aus Donezk hat gerade geheiratet. Für den neuen Namen braucht sie einen neuen Ausweis. Ein Mann erzählt uns: "Zurzeit stehen auf der Liste 142 Personen. Das dauert praktisch fünf Tage." Olexander Voroshkov stellt klar: "Das heißt, nur um die Anträge abzugeben, müssen sie mindestens fünf Tage täglich hier erscheinen."

Olexander ist verärgert über die Unfähigkeit der Bürokratie. Und er bedauert, dass Alexej als ausgebildeter Bauingenieur, selbst drei Jahre nach der Flucht immer noch keine Stelle hat. Auch seine Frau Oxana, früher Lehrerin, hat keine Stelle. Sie redigiert ehrenamtlich eine Zeitung in ukrainischer Sprache, singt mit bei der Nationalhymne. Wie Alexej und Oxana, engagieren sich viele Flüchtlinge bei den "Bienen von Kramatorsk", wie diese Organisation heißt, knüpfen im Keller Tarnungen für Scharfschützen und Panzer der ukrainischen Armee. Wie er aus Donezk sich hier fühle, wollen wir von einem älteren Mann wissen: "Hier ist es ganz anders, als da drüben. Dort gibt es keine Arbeit, gar nichts. Überhaupt gar nichts gibt es da." Ein Mann aus Luhansk hat abgeschlossen: "Ich fahre nicht zurück, ich war nie mehr dort. Ich hatte meine Tasche gepackt und gedacht, so für zwei, drei Wochen. Jetzt sind es schon drei Jahre!"

Von der Leninstatue, die einst hier stand, ist nur noch der Sockel da. Kramatorsk ist zu einer Festung in den ukrainischen Nationalfarben geworden, blau und gelb. Bei den Klängen der Nationalhymne erinnern sich manche, dass auch Kramatorsk 2014 hart umkämpft war und viele von hier weiter nach Westen flohen; ein Mann fühlt mit: "Wir haben Mitleid mit den Flüchtlingen. Es tut uns leid, dass sie in so eine schreckliche Lage geraten sind. Uns hätte es genauso ergehen können wie ihnen."

Einheimische oder Flüchtlinge? Äußerlich lassen sie sich nicht unterscheiden.

Olexander trifft einen Journalisten, fragt ihn zu den Flüchtlingen: „Die Lage hat sich in den letzten zwei, drei Jahren geändert. Am Anfang waren alle begeistert. Es hieß: Kommt her, herzlich willkommen! Aber dann kam eine gewisse Ermüdung. Die Flüchtlinge erhalten Begünstigungen. Da fragen die Einheimischen: Warum sie und nicht wir?“

Aber was zahlt der ukrainische Staat tatsächlich für die Flüchtlinge? Für jeden weniger als 30 Euro im Monat. Und dann das hier: Dieses Flüchtlingsheim könnte längst fertig sein. Über zwei Millionen Euro von der Europäischen Union versickerten in undurchsichtigen Kanälen. Das Heim existiert nur auf dem Reklamebild. Olexander ist schwer enttäuscht: "Das zeigt sehr eindringlich, wie unser Staat sich den Flüchtlingen gegenüber verhält, leider. Schade!"

Ohne die vielen ausländischen Hilfsorganisationen sähe es schlecht aus für die Flüchtlinge im eigenen Land. Geflohene Mütter bringen ihre Kinder ins Haus der Pioniere, denn sie haben gehört, dass heute die internationale Caritas Schulmappen an Erstklässler verteilt, an Kinder, die den grausamen Krieg gesehen, vielleicht sogar Verwandte verloren haben.

Alina von der Caritas meint: "Das ist ein Fest für Kinder, die ganz Schreckliches durchgemacht haben, einfach Furchtbares."

Für Olexander Voroshkov gibt es noch viel zu tun. Überall sprechen ihn Flüchtlinge an: Hier bleiben oder zurück nach Donezk? Die Allermeisten wollen bleiben, zumindest, solange noch geschossen wird, wie eine Frau aus Donezk bestätigt: "Hauptsache Frieden. Dann gibt es keine Probleme und alles ist gut. Die Ukraine gehört uns."


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