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Europa Die Spitzenkandidaten

Etwas ist neu bei der bevorstehenden Europawahl: Zum ersten Mal werden die beiden größten Parteiengruppen europaweit mit Spitzenkandidaten antreten.

Von: Nils Kopp

Stand: 11.05.2014 | Archiv

Das Berlaymont-Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel | Bild: BR

Für die Konservativen: Jean-Claude Juncker, für die Soziallisten: Der Deutsche Martin Schulz.

Martin Schulz

Und noch etwas ist neu bei dieser Wahl: Der Sieger des Duells soll automatisch auch zur Europäischen Kommission wechseln und deren Präsident werden – ganz demokratisch.

"Die Leute entscheiden und nicht irgendeiner in einem Hinterzimmer bei abgedunkeltem Licht und dem Auskungeln irgendeiner machttaktischen Variante."

Martin Schulz

Denn Europawahlen litten zuletzt unter immer schwächerer Wahlbeteiligung. Das soll sich damit ändern.

"Weil wir haben zum ersten Mal nach außen hin transportiert eine Personalisierung des Wahlkampfs, haben eine Zuspitzung auf einzelne Personen – das, was man im europäischen Parlament immer vermisst hat."

Andreas Maurer, Politikwissenschaftler

Aber ob das auch wirklich so kommt? Insbesondere dass der Sieger im Parlament Kommissionspräsident werden soll, stößt auf Widerstand. Denn dahinter steht ein Machtpoker, der das Institutionengefüge in Brüssel nachhaltig verändert: Das Parlament, die Kommission und der Rat der Regierungschefs sind die drei wichtigsten Machtzentren der EU.

Bei der Benennung des Kommissionspräsidenten galt bisher die Formel: Der Rat schlägt einen Kandidaten vor und das Parlament bestätigte ihn.

Dem EU-Parlament aber war das zu wenig: So wurde mit dem "Vertrag von Lissabon" dieses Vorschlagsrecht des Rates eingeschränkt. Jetzt heißt es darin: der Rat solle einen Präsidenten vorschlagen und "dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament".

"Berücksichtigt" heißt es da - mehr nicht. Nun geht es um die Kunst der Auslegung:

Parlament und Kommission kamen auf die Idee, dies so auszulegen, dass der Spitzenkandidat mit den meisten Stimmen Kommissionspräsident wird. Ein Machtpoker, mit dem Martin Schulz seine Spitzenkandidatur für die Sozialisten begründete.

Jean-Claude Juncker

Kanzlerin Merkel leistete Widerstand: Sie sah darin einen Machtverlust der Regierungschefs, den sie verhindern wollte. Erst als im März Jean-Claude Juncker nominiert wurde, gab sie nach.

"Jetzt haben wir erst einmal unseren Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten."

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Ein Sieg für das Parlament: Es hat deutlich an Gewicht gewonnen im Kräftedreieck zwischen Kommission und Rat. So wird eine Machtbalance, die über Jahrzehnte zuverlässig funktioniert hat, verschoben – ohne den EU-Vertrag zu ändern.

Wenn also die Sozialisten siegen, wird der der Rat nicht umhin können, Martin Schulz als Kommissionspräsident zu nominieren.

Anders dagegen, wenn Jean-Claude Juncker mit den Konservativen die meisten Stimmen erhält, denn sein Lager ist gespalten: Die Briten sind ausgeschert und haben eine eigene Fraktion gegründet. Sie bilden dann das Zünglein an der Waage. Deren Premier Cameron will keinesfalls auf das Vorschlagsrecht der Regierungschefs verzichten. Wenn sich der Rat nicht auf einen der Spitzenkandidaten einigen kann, dann gäbe es wohl eine europäische "Regierungskrise".

"Das würde die EU in eine tiefe Legitimationskrise stürzen, vor allem das Europäische Parlament. Dann sagen alle: 'Dann waren die Wahlen vollkommen gegenstandslos.'"

Andreas Maurer, Politikwissenschaftler

Wenn es also keine Einigung über den Kommissionspräsidenten gibt, dann würde sich auch dieser Wunsch von Martin Schulz nicht erfüllen:

"Die Leute entscheiden und nicht irgendeiner in einem Hinterzimmer."

Martin Schulz

Denn gibt es keine Einigung, dann kommt abermals der Vertrag von Lissabon zum Zug. Und danach sollen Parlament und Rat "die erforderlichen Konsultationen in dem Rahmen durchführen, der als am besten geeignet erachtet wird."

"Erforderliche Konsultationen" heißt es da, - das klingt wiederum sehr nach "Hinterzimmer". Aber: Das Parlament redet dann mit!

"Die Folge dieser Neuerung kann sein, dass es künftig so sein wird, dass in den Hinterzimmern, das auch weiterhin ein Hinterzimmern bleiben wird, eben doch zwei, drei Mitglieder des Europäischen Parlaments sitzen, um gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs zu verhandeln."

Andreas Maurer, Politikwissenschaftler

Und so kann sich das EU-Parlament freuen – über den Zugewinn im Machtpoker innerhalb des Dreiecks der EU-Institutionen.


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