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Der durchlöcherte Berg Der Gebirgskrieg am Lagazuoi in den Dolomiten

Im Mai vor 100 Jahren begann das Grauen des Dolomitenkrieges und noch heute liegen zwischen Ortler und Slowenien zahlreiche Relikte in den Bergen. Eine der eindrücklichsten Stellen ist der Lagazuoi, ein mächtiger, rund 2800 Meter hoher Felsklotz über dem Falzarego-Pass zwischen Alta Badia und Cortina d´Ampezzo. Hier verlief die Front quer durch den Berg.

Von: Frank Hollmann

Stand: 18.07.2015 | Archiv

Am Lagazuoi | Bild: BR; Frank Hollmann

Die Österreicher saßen oben, die Italiener kämpften sich von unten heran. Bis heute ist der Lagazuoi ein mit Tunneln, Kavernen und Steigen regelrecht „durchlöcherter“ Berg.

Das Freilichtmuseum beginnt direkt an der Talstation der Seilbahn vom Falzarego-Pass auf den Gipfel des Lagazuoi. In steilen Kehren geht es durch Schützengräben und vorbei an verrostetem Stacheldraht zum Fuß der Felswand, dem Einstieg zum Kaiserjägersteig. Zwei Stunden dauert der Aufstieg durch die früheren österreichischen Stellungen, mit rekonstruierten Kavernen und zahlreichen Tafeln.

In einem Soldatenbrief aus dem Jahr 1916 heißt es: „Anscheinend dauert der Krieg noch so lange, wie er bereits gedauert hat. Aber das kann doch nicht mehr gehen. Dann gehen nicht nur die Soldaten an der Front zugrunde, sondern auch unsere Lieben zuhause. Entweder sie müssen sich zu Tode schinden oder verhungern.“ Der Text ist neben einem Schwarz-Weiß Foto von 1916 zu lesen. Das Foto zeigt, österreichische Soldaten in einer Gefechtspause, einige rauchen Pfeife, einer liegt auf einer Pritsche. Die Gesichter wirken erschöpft, um Jahrzehnte gealtert. Vor allem der extreme Winter 1916/17 hat viele Opfer gefordert. Damals lag oben am Lagazuoi an die zehn Meter Schnee Überhaupt, zwei Drittel der Soldaten sind im Gebirgskrieg nicht in Gefechten umgekommen, sondern durch Lawinen, Steinschlag oder Erkrankungen.

Kurz nach dem Ausstieg aus dem Kaiserjägersteig nahe der Bergstation der Lagazuoi-Seilbahn verschwindet das Grauen des Krieges. Familien bestaunen die grandiose Aussicht, junge Mädchen in Flip-Flops schießen Selfies zur Erinnerung, ein Rentnerehepaar genießt Kaffee und Kuchen. Sie alle sind mit der Seilbahn heraufgeschwebt, ohne Anstrengung und ohne Blicke für die Kriegsrelikte. Vor der Lagazuoi-Hütte steht Guido Pompanin, der Wirt, und verweist auf das grandiose Panorama. Man sieht nahezu die ganzen Dolomiten von den Geislerspitzen bis zur Tofana, von der Sella über Marmolada, Civetta und Pelmo bis zum Sorapis.

Ein paar Schritte unterhalb der Seilbahnstation beginnt ein Kilometer langer steil abfallender Tunnel. Hier standen einst die Italiener und versuchten, sich zu den Stellungen der Österreicher zu sprengen. Heute sorgen Ehrenamtliche wie Guido Pompanin dafür, dass viele Stollen wieder begehbar sind. Neue Wege zu den Stollen wurden angelegt, damit auch Rollstuhlfahrer hinkommen können. Pompanin ist mit seinem Engagement nicht allein. Seit Jahren investieren viele Freiwillige einen Großteil ihrer Freizeit am Lagazuoi, legen Stollen und Schützengräben frei, installieren Schautafeln und markieren Wege.

Immer noch finden sich Kugeln oder Handgranaten. Der Gebirgskrieg war schließlich auch der erste Krieg mit Telefonverbindungen und mit LKWs - der erste Krieg, der nicht nur die Soldaten betraf, sondern die ganze Bevölkerung: Er war quasi der erste industrialisierte Krieg. Heute kommen auch viele italienische Schulklassen zum Lagazuoi. Der Weg durch die dunklen Stollen ist furchteinflößend. Doch diese Emotionen sind wichtig, denn Emotionen transportieren Informationen.

Karte: Am Lagazuoi

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Karte: Am Lagazuoi


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